Nach dem haushaltspolitischen Grundsatzurteil schießt sich die Spardebatte auf das Bürgergeld ein
Noch hält die SPD stand: Allen voran ihr Arbeits- und Sozialminister Hubertus Heil versichert, dass es bei der geplanten Erhöhung des Bürgergeldes ab Januar 2024 bleibt. Das ist für diese Partei überlebenswichtig, die als Teil von Rot-Grün für den neoliberalen Abbau des Sozialstaates und die Entstehung eines der größten Niedriglohnsektoren Europas verantwortlich war. Denn dafür wurde die SPD von ihren Wähler*innen abgestraft; seitdem versucht sie, sich mit der Umbenennung von Hartz IV in Bürgergeld sowie leichten Erhöhungen von diesem Erbe zu befreien.
Die Betonung liegt auf »noch«. Denn aus den Medien, von der rechten Opposition und vom liberalen Koalitionspartner FDP kommt ein Trommelfeuer, das an die Hochzeiten des Neoliberalismus in den 1990er und 2000er Jahren erinnert. Finanzminister Christian Lindner hatte schon im Juli die Leitlinien festgelegt: Die Zeit der Wünsche sei vorbei, schrieb er in einem Gastbeitrag für die FAZ. Und: »Der Haushalt 2024 ist Teil der finanz- und wirtschaftspolitischen Zeitenwende, bei der wir erst am Anfang stehen.« Wenig später legte er einen Haushaltsentwurf vor, der mit Ausnahme der Bundeswehr in allen Ressorts Kürzungen vorsah.
Da ahnte er noch nichts von dem Ungemach, das Mitte November vom Verfassungsgericht kam. Wobei Ungemach aus Lindners Sicht nur die halbe Wahrheit ist. Denn nach dem Nein aus Karlsruhe zum munteren Umschichten von Krediten in diverse Schattenhaushalte ist klar: Das klaffende Loch von 17 Milliarden Euro im Haushalt 2024 spielt Liberalen und Konservativen in die Hände. Der Spardruck wächst. Und die ersten, an die sie denken, sind diejenigen, die ohnehin schon wenig haben: Bürgergeldempfänger*innen und Geflüchtete. Ihnen wird unterstellt, sie wollten nicht arbeiten, sondern lieber Transferleistungen beziehen. Nach dem Richterspruch prangert CDU-Chef Friedrich Merz noch häufiger die angebliche Missachtung des »Lohnabstandsgebots« an: In seinen Worten: »Diejenigen, die arbeiten, müssen netto mehr in der Tasche haben als die, die soziale Transferleistungen bekommen.«
Das ist eine Scheindebatte im doppelten Sinne. Zum einen, weil die Behauptungen reiner Populismus sind. Das gewerkschaftsnahe Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) hat nachgerechnet und sagt: Stimmt alles nicht, wer arbeitet, hat mehr Geld in der Tasche, zum Teil deutlich mehr. Zudem ignorieren Merz, Lindner und Co., dass viele Bürgergeld-Bezieher*innen gar nicht arbeiten können, weil sie etwa erkrankt sind; andere stocken mit dem Sozialtransfer ihren kläglichen Lohn auf. Nach dem haushaltspolitischen Urteil bekam die Debatte sogar eine rassistische Note: Die CDU stellte das Bürgergeld für Geflüchtete aus der Ukraine in Frage. In ein ähnliches Horn stieß der bayerische Ministerpräsident.
Zum anderen handelt es sich um eine Scheindebatte, weil der Fokus auf Kürzungen im Sozialbereich bei weitem nicht ausreicht, um das Loch im Haushalt 2024 zu stopfen. Einsparungen beim Bürgergeld und der Kindergrundsicherung, die ausgerechnet jetzt wieder zur Disposition steht, wo Unicef erneut die hohe Kinderarmut in Deutschland angeprangert hat, würden nur wenige Milliarden bringen. Das wissen auch die rechten Oppositionsführer.
Dass die SPD aber außer dem Nein zur Aussetzung der Erhöhung des Bürgergeldes mit keinen Alternativvorschlägen punkten kann, ist ein Offenbarungseid – und ein Indiz dafür, dass der Klassenkampf von oben wieder ein paar Stufen härter geführt wird. Zwar schlagen die Jusos die Abschaffung der Schuldenbremse vor, und andere SPD-Mitglieder fordern in Übereinstimmung mit einer ansehnlichen Zahl liberaler Ökonom*innen deren Reform. Aber die Streichung der Subventionierung fossiler Energieträger – 65 Milliarden pro Jahr! – oder höhere Steuern für Reiche sind weitgehend tabu. Dass die SPD standhält – es ist nicht sicher.
aus: analyse & kritik 699, 12.12.2023