Filmkritik: Operation Walküre

Wieder ein neuer Film über Stauffenberg und den 20. Juli – warum denn das? Es gibt doch bereits mehr als ein halbes Dutzend; der letzte erschien 2004. Bislang jedoch hatte sich Hollywood des Stoffes noch nicht angenommen. Eine kulturindustrielle Verarbeitung des Themas indes verspricht, eine Menge Geld in die Kassen zu spülen – keine falsche Versprechung: In den USA hat der Film von Bryan Singer bereits die Produktionskosten von 80 Millionen Dollar eingespielt.

Nun produziert Hollywood viel Schrott des immer gleichen Musters, mal weniger und mal mehr gute Filme – und gelegentlich sogar hervorragende. „Operation Walküre“ ist hervorragend – abgesehen von wenigen kitschigen Momenten und historischen Fehlern. Allerdings gibt es Szenen, die als exzellente Verfilmungen wissenschaftlicher Thesen über den NS-Faschismus gelten können. Wer zum Beispiel plastisch sehen will, was es mit den Thesen vom „schwachen Diktator“ (Hans Mommsen) oder „dem Führer entgegen arbeiten“ (Ian Kershaw) auf sich hat, der wird in der Berghof-Szene von Operation Walküre fündig – ungeachtet der Tatsache, dass diese historisch falsch dargestellt ist. Stauffenberg legt Hitler die in seinem Sinne manipulierten Walküre-Pläne vor, die dieser auch unterzeichnet. Hitler wirkt in dieser Szene, umgeben von seinen engsten Führungsriegen, die in Konkurrenz zueinander um Einfluss auf ihn ringen, tatsächlich schwach, sogar ein wenig trottelig. Er ist lediglich an dem radikalen Endziel interessiert, die Details der Umsetzung interessieren ihn weniger. Gleichzeitig bildet er mit seiner Autorität die Klammer, die das polykratische Gefüge zusammenhält. Auch das illustriert der Film in mehreren Szenen.

Innersystemische Opposition
Wir schreiben das Jahr 2009: Im Gegensatz zu den 1970er Jahren, wo nur die Hälfte der Bundesbürger über den 20. Juli Bescheid wusste (und noch ein Fünftel diesen für Verrat hielt), sollten mittlerweile mehr Kenntnisse vorhanden sein. Daher sei an dieser Stelle die erinnerungs- und geschichtspolitische Dimension behandelt; also die Frage, wie Geschichte für gegenwärtige politische Zwecke instrumentalisiert werden kann. „Operation Walküre“ transportiert, indem es den „Helden“ Stauffenberg in den Fokus stellt, ein personalisiertes und emotionalisiertes Geschichtsbild, welches blind ist für gesellschaftliche Kräfteverhältnisse. Ausgeblendet bleibt, warum wenige Militärs und nationalkonservative Bürgerliche erst sehr spät gegen das Naziregime Widerstand entwickelten. Und natürlich erfährt der Zuschauer nicht, dass ohne diese Kräfte Hitler nie an die Macht gekommen wäre und sie den Vernichtungskrieg im Osten und die antisemitischen Maßnahmen lange unterstützten und den Antisemitismus dann auch nicht per se ablehnten, sondern sich für eine gemäßigtere Variante aussprachen.[1] Gerade auch zentrale Figuren des 20. Juli wie Henning von Tresckow, dessen Worte gerne von bundesdeutschen Politikern zitiert werden, oder der als Reichspräsident vorgesehene Ludwig Beck, der den Hochrüstungskurs der Nazis aktiv vorangetrieben hatte und dessen Bruch mit Hitler erfolgte, weil er einen Kriegsbeginn erst für 1942 für angemessen hielt, waren an diesen Verbrechen beteiligt. Der Umsturzplan des 20. Juli war insofern vielmehr innersystemische Opposition denn antifaschistischer Widerstand; er war autoritären obrigkeitsstaatlichen Leitbildern verpflichtet und sogar bestrebt, eroberte Gebiete zu behalten (so der Goerdeler-Kaiser-Leuschner-Kreis). Dessen ungeachtet hätte ein erfolgreiches Attentat Millionen von Menschen das Leben gerettet. Und gleichwohl war einigen Beteiligten des 20. Juli bewusst, dass sie auf die Unterstützung aus dem Volk angewiesen waren. In „Operation Walküre“ wird dies nur angedeutet, was zu Recht etwa vom Historiker Peter Steinbach kritisiert wird. So etwa in der Szene, in der Stauffenberg im Angesicht des vermeintlich geglückten Putsches seine Verwunderung gegenüber Generaloberst Ludwig Beck zum Ausdruck bringt: „Warum tragen sie keine Uniform, Herr Oberst?“ Worauf dieser entgegnet: „Dies soll als eine Bewegung des Volkes verstanden werden.“

Selbstredend erfährt der Schüler aus Iowa, der nun – wie FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher mit Freude schreibt – weiß, dass es einen Widerstand gegen Hitler gab, nichts über den Kreisauer Kreis innerhalb des 20. Juli, der wiederum Kontakte zu Vertretern aus Gewerkschaften und den Arbeiterparteien hatte und für eine demokratische Alternative eintrat. Jene Kreise also, für die in der Tat der Begriff antifaschistischer Widerstand gelten kann, da sie von Anfang an Widerstand leisteten und ihre Zahl weit höher war. Schirrmachers Argument, wonach sich die „umständliche Struktur der Verschwörung“ daraus erkläre, „dass die Beteiligten wussten, dass sie auf Rückhalt in der Bevölkerung nicht vertrauen konnten“, unterschlägt diese Tatsache nicht nur, es suggeriert gleichzeitig, dass Widerstand nur von Militärs und Bürgerlichen geleistet worden sei. Die Massen hingegen gelten – dies ist ein uraltes konservatives Ressentiment – als nicht vertrauenswürdig. Natürlich sollte man nicht in das andere Extrem verfallen und den Massen im Umkehrschluss per se eine fortschrittliche Rolle zusprechen, denn der deutsche Faschismus verfügte in der Tat – und das unterschätzt zu haben, müssen sich bestimmte Strömungen marxistischer Faschismustheorie gewiss vorwerfen lassen – über eine erhebliche Massenbasis.

Von deutschen Opfern zu deutschen Helden
Der Film erfährt infolgedessen in bürgerlichen und konservativen Kreisen großes Lob. Exemplarisch – und wie stets überspitzt – hat dies Schirrmacher bereits während der Dreharbeiten formuliert: Dieser Film werde auf Jahrzehnte das Bild Deutschlands im Ausland prägen. Und für die breiten Massen formulierte BILD: „Ein Film für die ganze Familie über Mut, Ehre, Anstand und einen deutschen Helden, der für seine Kinder starb.“ Aus beidem spricht das gequälte patriotische Gewissen, dass die wenigsten ihrer nationalen Vertreter angesichts von Holocaust und Vernichtungskrieg ihren Anstand so spät entdeckten. Nun sind sie froh darüber, dass Millionen Kinobesucher weltweit mit den guten ehrenhaften Deutschen in Wehrmachtsuniform mitfiebern können.

Gleichwohl: Der typischere Charakterzug des Deutschen kommt weniger in der Gestalt Stauffenbergs denn in der Figur Friedrich Fromms, des Befehlshabers des Ersatzheeres und einigen anderen Figuren zum Ausdruck: Es ist Opportunismus.

Diese Rezeption des ehrenhaften Deutschen fügt sich somit ein in die von Albrecht von Lucke konstatierte so genannte neue Bürgerlichkeit, die angesichts der unbezweifelbaren Verstrickung des deutschen Bürgertums mit dem Hitlerfaschismus bestrebt ist, durch die Konstruktion einer antibürgerlichen Bewegungsthese eine Exkulpation des Bürgertums anzustreben.

So wurde zum Beispiel die Autobiografie des konservativen bürgerlichen Historikers und Journalisten Joachim Fest mit dem programmatischen Titel „Ich nicht. Erinnerungen an Kindheit und Jugend“ ebenfalls nach diesem Muster rezipiert. Der Bürger Fest machte nicht gemeinsame Sache mit den Nazis, während um ihn herum die Massen den Nazis zujubelten. Und selbst der junge Günter Grass meldete sich aufgrund des angeblich antibürgerlichen Charakters der NS-Bewegung freiwillig zur Waffen-SS. Um keinen falschen Eindruck zu erwecken: Die NS-Bewegung hatte der Form nach einen antibürgerlichen Charakter, gleichzeitig verbündete sie sich jedoch mit dem Bürgertum und vertrat (auch) ihre Interessen.

„Operation Walküre“ markiert offenbar eine neue Phase medialer Erinnerungskultur: Vor 30 Jahren musste die vierteilige Serie „Holocaust“ den Deutschen ihr beispielloses Verbrechen ins Bewusstsein rufen. Dort ist es nun fest verankert – zumal in den Sonntagsreden der sprechenden und redenden Elite. Man bekennt sich dazu und verweist im gleichen Satz darauf, wie gut man dieses Geschehen aufgearbeitet habe, wenngleich ein nicht unerheblicher Teil der schweigenden Mehrheit dies ein wenig anders sieht.

Als 1999 mit der Beteiligung am Jugoslawienkrieg das letzte Tabu der Nachkriegsgeschichte fiel – das Verbot, Kriege zu führen –, setzte eine neue Phase ein: Die Erinnerung der deutschen Opfer, von der Neuen Zürcher Zeitung als mentaler Status quo der Berliner Republik bezeichnet. Ausgelöst durch Günter Grass’ Novelle „Im Krebsgang“ fand dieser Abschnitt seine Fortsetzung zum Beispiel in dem Buch „Der Brand“ von Jörg Friedrich über die Bombenangriffe der Alliierten auf Dresden sowie allgemein in den Diskussionen über Flucht und Vertreibung und erreichte seinen Höhepunkt in dem Fernsehfilm „Die Flucht“. 13,5 Millionen Zuschauer sahen diesen Zweiteiler – die erfolgreichste Produktion der ARD seit zehn Jahren.

Nun scheint es also soweit zu sein, dass man sich der deutschen „Helden“ erinnern kann. Den Beginn macht Stauffenberg und demnächst schon läuft der Film mit dem programmatischen Titel „Der gute Deutsche von Nanking“ an. In diesem rettet ein NSDAP-Mitglied und Hitlerverehrer tausende von Menschenleben bei einem japanischen Angriff.
Zu hoffen ist nur, dass die deutsche Bourgeoisie lernfähig ist und ihr Gewissen bei der nächsten Prüfung ein wenig früher entdeckt.

Anmerkungen
[1] Vgl. Karl Heinz Roth, Der 20. Juli und seine Vorgeschichte, in ders./Angelika Ebbinghaus (Hrsg.), Rote Kapellen – Kreisauer Kreise – Schwarze Kapellen. Neue Sichtweisen auf den Widerstand gegen die NS-Diktatur 1938-1945, Hamburg, 2004, S. 64.

(aus: Sozialismus 2/2009)

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