Die Ambivalenz der Waschmaschine

Der Schweizer Wissenschaftsjournalist Marcel Hänggi bürstet unser Fortschrittsbild gegen den Strich

Zwar ist seit dem Ende des Kalten Krieges die Angst vor einem Atomkrieg, und damit vor der Selbstzerstörung der menschlichen Zivilisation, gebannt. Allerdings ist die Selbstzerstörung technisch noch immer machbar. Atomar sowieso, aber auch durch ökologische Folgen des Wachstums, durch Klimawandel, Übersäuerung der Meeres und Bodenerosion.

Dies war denn auch der Ansporn für das neue Buch des Schweizer Wissenschaftsjournalisten Marcel Hänggi. In diesem reflektiert er über den Fortschrittsbegriff und erzählt Geschichten, die das herkömmliche Verständnis von Fortschritt gegen den Strich bürsten, nicht dem linearen Fortschrittsmodell entsprechen.

War die Erfindung und Durchsetzung der Waschmaschine tatsächlich ein Fortschritt? Die meisten dürften das mit einem entschiedenen »Ja« beantworten. Auch Hänggi zitiert Stimmen, wonach das Waschen nun keine Arbeit mehr sei. Doch so einfach ist das nicht. Hänggi schreibt, dass es in der Wissenschaft keinen Konsens darüber gebe, ob die Zeit, die ein durchschnittlicher Haushalt für das Waschen aufwendet, abgenommen oder zugenommen hat. Die meisten sind der Ansicht, dass der Zeitaufwand derselbe sei. Wie das zu erklären ist? Durch den vereinfachten Waschprozess sei die Nachfrage nach dem Waschen größer geworden. Nicht einmal die Woche wird gewaschen, sondern fast täglich. Damit einher ging ein Wandel des Hygieneverständnisses. Bevor sich die Waschmaschine durchsetzte, war es üblich, Kleidung mehrere Tage zu tragen, heute wird sie fast täglich gewechselt. Entsprechend oft muss gewaschen und gebügelt werden. »Es ist ein Effekt, den man mit einem Begriff aus der Energieökonomie ›Rebound‹ nennt: Was weniger – Zeit oder Geld – kostet, wird stärker nachgefragt.« Was jedoch die Härte der Arbeit anbelangt, war die Waschmaschine dann doch ein Fortschritt.

Das Beispiel des Waschens zeigt, wie kompliziert und vertrackt der »Fortschritt« ist. Und Hänggi de-konstruiert an elf weiteren Beispielen, dass die Erzählung von Fortschritt und Innovation nicht so einfach ist, wie seine Befürworter nicht müde werden zu betonen. Hat das Auto unsere Freiheit und Mobilität erweitert? Mitnichten. Das Auto habe Ländern und Städten eine Straßeninfrastruktur aufgezwungen, die zur Zersiedlung geführt habe – und damit dazu, dass die Wege zwischen Arbeiten und Leben immer länger würden. Zeitersparnis ade. Des Weiteren erinnert Hänggi daran, dass der Preis für den individuellen Autoverkehr mit einer Million Verkehrstoten weltweit jährlich doch recht hoch ist.

Eindrucksvoll zeigt er auf, dass eine industrielle, kapitalintensive Landwirtschaft, die von den westlichen Staaten als Vorbild für die so genannten Entwicklungsstaaten gesehen wird, kein Fortschritt ist. Das Überstülpen eines Entwicklungsmodells, das auf Privateigentum an Boden und Produktionsmitteln, Markt und Spezialisierung etc. setzt, kann fatale Folgen haben. »Hunger und Armut hat die Produktionssteigerung nicht zu beseitigen vermocht. Stattdessen verloren Hunderte Millionen Menschen ihre Auskommen in der Landwirtschaft. Lokal angepasste Anbautechniken und Kulturpflanzensorten sind verloren gegangen.« Selbst die Grüne Revolution schädige die ökologischen Grundlagen der Landwirtschaft.

Hänggi zeichnet ein realistisches und kritisches Bild, jenseits von Technikeuphorie und -feindschaft. Er beleuchtet gesellschaftliche und kulturelle Zusammenhänge. Seiner Ansicht nach werden Kohle, Erdöl und Erdgas sowie das Roden von Wäldern das 21. Jahrhundert stärker prägen als neuere Techniken. Hänggi spricht zwar vom techno-industriellen Komplex, der ein Interesse daran hat, seine Technik mit einer positiven Erzählung zu versehen und dies mit Lobby und intensiver Werbung durchzusetzen versucht. Doch wird dessen Verwurzelung in der kapitalistischen Produktionsweise nicht thematisiert. So erscheint der Epilog, in dem der Autor seinen Vorschlag für einen guten Umgang mit Technik skizziert, etwas utopisch, voluntaristisch. Zutreffend ist gewiss sein Fazit: »Tatsächlich dürfte es möglich sein, die Bedürfnisse aller Menschen mit heutigen Techniken zukunftsverträglich zu befriedigen und die nicht nachhaltigen Techniken abzulösen.« Doch allein mit »Mythenzertrümmerung«, wie sie Hänggi durchaus erfolgreich praktiziert, wird das nicht gelingen. Zu fragen wäre nach den sozialen Trägern einer solchen Entwicklung.

Marcel Hänggi: Fortschrittsgeschichten. Für einen guten Umgang mit Technik. S. Fischer, Frankfurt am Main. 302 S., br., 12,99 €

aus: neues deutschland, 22.5.2015

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