Im Zweifel für Ernst Nolte

Mathias Brodkorbs misslungener Versuch, den Historikerstreit zu bilanzieren

Gemeinhin gilt der Ausgang des Historikerstreits als klar: Die sozialdemokratische und liberale Linke um Jürgen Habermas und Hans-Ulrich Wehler fuhr einen Punktsieg gegen Ernst Nolte (und andere neurechte Historiker) ein, der den Holocaust mit der These vom »kausalen Nexus« zwischen bolschewistischen Verbrechen und Auschwitz aus der Kontinuität deutscher Geschichte entfernen wollte. Im Zuge des Historikerstreits konnte sich die These von der Singularität des Holocaust etablieren, die freilich mehre Bedeutungen hat. Ein spezifisches – sakralisiertes – Verständnis der Singularitätsthese ist heute allgemein anerkannt, ja sie kann als inoffizielle Staatsdoktrin der Bundesrepublik gelten. Angesichts des »kommunikativen Beschweigens« (H. Lübbe) und der so genannten »zweiten Schuld« (R. Giordano) der westdeutschen Nachkriegszeit sowie der im Historikerstreit erstmals offensichtlichen Revisionsbestrebungen ist dies einerseits zu begrüßen. Andererseits geht mit dieser Etablierung des Singularitätsverständnisses der Verlust eines insbesondere infolge von 1968 etablierten (neo)marxistischen Faschismusverständnisses einher, welches die NS-Vernichtungspolitik im Rahmen seiner kapitalistischen und imperialistischen Kontinuitäten zu analysieren versuchte. Allerdings gelang es diesem nicht, den spezifischen Charakter des Judenmordes angemessen zu erfassen.
Parallel zur Etablierung des sakralisierten Singularitätsverständnisses hat indes mit dem Zusammenbruch des Realsozialismus eine gegenläufige Tendenz Fuß fassen können: Die Renaissance der Totalitarismustheorie war der Startschuss für einen munteren Vergleichswettbewerb nicht nur von Stalinismus und Faschismus, sondern auch von DDR und Hitler-Reich – auf den Punkt gebracht in der kaum mehr hinterfragten Formel von den zwei deutschen Diktaturen auf deutschen Boden. Des Weiteren rückten in den vergangenen zwei Jahrzehnten die deutschen Opfer von »Krieg und Gewaltherrschaft« in den Fokus der Aufmerksamkeit. Der Politikwissenschaftler Claus Leggewie (2008: 52) hat diese widersprüchlichen Tendenzen in folgende Worte gefasst: »Man skandalisierte im Historikerstreit den dicken Schlussstrich – um ihn danach umso feiner ziehen zu können. Logisch oder historiographisch mag das eine Unmöglichkeit sein, aber faktisch koexistiert das besondere Augenmerk auf dem Mord an den europäischen Juden heute mit der Hervorhebung deutscher Leiden und Opfer in einer Gesamtperspektive.«
Diese verwirrende Gemengelage nahm das einstige PDS-Mitglied und der jetzige SPD-Politiker Mathias Brodkorb zum Anlass, der bedeutendsten Debatte der alten BRD einer kritischen Bilanz zu unterziehen. Zunächst fällt auf, dass die Anlage des Bandes deutlich zugunsten Ernst Noltes ausfällt. Der Herausgeber Brodkorb hatte das ursprünglich nicht so geplant. Anlässlich des 25. Jubiläums des Historikerstreits wollte er die beiden Protagonisten von damals zu einem Dialog bewegen. Doch Jürgen Habermas beschied dem designierten Bildungsminister von Mecklenburg-Vorpommern mit einer Absage. Anders Ernst Nolte, der Brodkorb zu einem Gespräch in seine »bürgerliche Berliner Stadtwohnung« einlud. Brodkorb ließ sich von so viel Zuvorkommenheit offensichtlich beeindrucken. Während er eine gewisse Sympathie für die Person Nolte nicht verbergen kann, reagiert er auf Habermas beleidigt: Er will diesen gegen sich selbst, sprich die Theorie des kommunikativen Handelns gegen seinen Erfinder verteidigen.
Nach einer knappen Kritik an Habermas wird ausführlich die Position Ernst Noltes dargelegt; zunächst in einem einleitenden Beitrag vom Herausgeber persönlich, sodann in Noltes eigenen Worten in Gestalt des erwähnten Interviews und abschließend in einem langen Beitrag über »Ernst Nolte und die Singularität von Auschwitz« – ebenfalls aus der Feder Brodkorbs. Dem zur Seite gestellt sind zumeist kürzere Texte oder Gespräche von bzw. mit dem ehemaligen Schüler Noltes, Wolfgang Wippermann, den Historikern Christian Meier, Jörn Rüsen und Heinrich August Winkler sowie den Journalisten Jürgen Kaube (FAZ) und Alan Posener (Die Welt). Zudem enthält der Band den polemischen und eindeutig in einer neurechten Tradition stehenden Beitrag von Egon Flaig, der vorab gekürzt in der FAZ abgedruckt worden ist und umgehend harsch von Micha Brumlik, Wolfgang Wippermann u.a. kritisiert wurde. Konzipierung des Bandes und politische Verortung der Autoren – bis auf Wippermann alle eher dem konservativen Spektrum zuzuordnen – deuten somit auf eine Aufwertung der Position Noltes hin.

Relativierung trotz Singularität
Doch findet sich diese Tendenz auch in den Beiträgen selbst? Ja, aber nicht ausschließlich. So ist Brodkorb um eine differenzierte und kleinteilige Darstellung der Position Noltes bemüht. Er weist auf entsprechende Passagen in Noltes Hauptwerk aus den 1960er Jahren hin, in denen dieser die Singularität von Auschwitz ausdrücklich anerkennt, was er im Übrigen noch bis heute tut. So führt Nolte im Gespräch mit Brodkorb aus: »Die Singularität von Auschwitz besteht in meinen Augen allein in der Ideologie, die ihr zugrundelag.« (43) Interessanterweise gilt Nolte manchen rechten Publizisten daher auch eher als linker Historiker. Andererseits gibt Brodkorb Habermas »in gewisser Hinsicht« Recht, wenn dieser behauptet, Nolte habe die Singularität von Auschwitz bezweifelt, auch wenn Habermas hierfür keine Argumente vortrug, vielleicht auch nicht vortragen konnte (158, vgl. auch 175). Recht in »gewisser Hinsicht« insofern, weil sich Noltes Definition der Singularität eben nur auf die ideologische Ebene beziehe, nicht jedoch auf die tatsächlichen Geschehnisse.
Brodkorb geht indes noch einen Schritt weiter: Nicht nur eine Relativierung der NS-Verbrechen stellt er bei Nolte fest, sondern auch eine gewisse logische Verwandtschaft mit der Argumentation der Nationalsozialisten. So z.B., wenn Nolte dem Antisemitismus ein »gewisses Ausmaß von Recht« zuspricht (158). An anderer Stelle spricht der Philosoph und Gräzist Brodborb sogar davon, dass Nolte die Verbrechen der Bolschewiki für schlimmer als die der Nazis zu halten scheint und mit »emotionalem Engagement« ausschließlich über die »Folterungen und Tötungsweisen der Bolschewiki« spricht (169). Brodkorbs Fazit lautet: »Dass seine Argumentation vor diesem Hintergrund manch einem als NS-apologetischer Revisionismus erscheinen mag, dürfte daher nicht nur ›verstehbar‹, sondern in Teilen sogar ›verständlich‹, wenn auch vielleicht nicht ganz ›gerechtfertigt‹ sein.«
»Mag«, »dürfte«, »vielleicht« – ganz sicher ist er sich also nicht. Diese Unbestimmtheit schlägt in der Erwiderung Brodkorbs auf eine Kritik von Wolfgang Wippermann an dem oben erwähnten Beitrag von Egon Flaig in der Wochenzeitung der Freitag (5.8.2011) denn auch in eine Pro-Nolte-Position um. In dieser hat lässt er die in seinen eigenen Beiträgen und hier referierte Widersprüchlichkeit zwischen Anerkennung der Singularitätsthese und NS-Relativierung der Noltes‘schen Position unter dem Tisch fallen. Der Herausgeber schreibt, dass aus der Noltes’schen These, wonach Hitler auf Stalin reagiert habe, mitnichten folge, dass Stalins Taten schlimmer gewesen sein müssen als die Hitlers. »Hätte nämlich Hitler überreagiert, ließe sich Noltes Theorie vom ›kausalen Nexus‹ ganz ohne Widerspruch mit dem Postulat von der ›Singularität von Auschwitz‹ kombinieren. Man muss kein Spezialist sein, um zu wissen, dass genau dies Noltes Position war und bis heute ist.«
Abgesehen davon, dass selbst der Nicht-Spezialist Brodkorb die Widersprüchlichkeit von Noltes Position an anderer Stelle herausgearbeitet hat, fällt Folgendes auf: Zwar ist das Argument richtig, dass die angenommene Beziehung zwischen Stalin und Hitler nicht zwangsläufig bedeuten muss, dass die Verbrechen der Bolschewiki schlimmer als die der Nazis gewesen seien. Aber die angebliche Relation selbst wird nicht infrage gestellt. Doch gerade dies ist ein zentrales Argument von Geschichtswissenschaftlern. Die Unsinnigkeit der Konstruktion des »kausalen Nexus« demonstriert in dem Band »Singuläres Auschwitz?« Alan Posener. Nolte sei nur dann Recht zu geben, wenn er wie Hitler tatsächlich meinte, es gäbe so etwas wie eine jüdische Essenz. Dann aber werde aus Noltes Einfühlung eine Identifikation mit Hitler und den Nazis (126).
Poseners Fazit findet auf der einen Seite die Zustimmung Brodkorbs, denn er referiert es in eigenen Worten. Auf der anderen Seite meint er, bei Nolte handele es sich lediglich um einen Denkfehler, nicht jedoch um NS-Apologie oder Antisemitismus (161) – was im merkwürdigen Widerspruch zu seiner konstatierten »logischen Verwandtschaft« von Noltes Argumentation mit der der Nazis nur drei Seiten zuvor steht (158).

Singulär? Präzedenzlos? Einzigartig?
Brodkorbs Widersprüchlichkeit hat neben der persönlichen Antipathie gegen Habermas und der insgeheimen Sympathie für Nolte noch eine weitere Ursache: den Umgang mit der so genannten Singularitätsthese des Holocaust. Das herkömmliche Verständnis dieser These besagt, dass der Holocaust ein einzigartiges, singuläres Ereignis war und somit nicht mit anderen Verbrechen oder Genoziden verglichen werden dürfe. Tue man dies, sei quasi schon der Rubikon zur Relativierung der NS-Verbrechen überschritten.
Eine so verstandene Singularitäts-These wirft indes Probleme auf, weil sie, wie Leggewie (2008: 67) ausführt, »den Mord an den europäischen Juden als außerhistorisches Ereignis konstruiert und damit dem Vergleich entzieht.« Die Herauslösung des Judenmordes aus den geschichtlichen Kontinuitäten und Kontexten geht insofern einher mit einer Sakralisierungstendenz. Zugespitzt lautet das Argument dann: Der Holocaust ist singulär, weil er die Abwesenheit von Rationalität verkörperte und damit entziehe er sich auch einer rationalen Erklärung.
Diese Ansichten allerdings sind problematisch, weil sich hier verschiedene Ebenen vermischen, die es auseinanderzuhalten gilt (vgl. Berlekamp 1992). Auf einer wissenschaftlichen Ebene muss verglichen, in Beziehung gesetzt, differenziert und historisiert werden. Wie sonst sollte das als singulär postulierte als tatsächlich einzigartig charakterisiert werden? Auf der anderen Seite ist auf einer politisch-moralischen Ebene die Anerkennung der Singularität von Auschwitz – sofern die wissenschaftliche Analyse dieses denn bestätigt hat (dazu weiter unten) – unabdingbar, um sich von neu rechten Bestrebungen abzugrenzen, die – indem sie einer revisionistischen Historisierung das Wort reden – »Auschwitz vom negativen Sockel« stoßen wollen, um ein normalisiertes deutsches Nationalbewusstsein zu befördern. In Brodkorbs Band drückt dieses Bedürfnis beispielhaft Egon Flaig aus. Zwar schreibt er zu Recht, dass Erkennen nur möglich sei, wenn kontextualisiert, relationalsiert, relativiert und revidiert wird (92). Doch ist sein geschichtspolitisches Motiv die Gleichsetzung von Holocaust mit anderen Genoziden. Und zu diesem Zweck bleiben wissenschaftliche Argumente und Studien unberücksichtigt, die genau dies bestreiten und die Spezifika des Judenmordes unterstreichen.
Doch das Problem der Singularitätsthese fängt schon damit an, dass keine allgemein verbindliche Definition existiert, sondern ganz Unterschiedliches unter ihr verstanden wird. Das sieht auch Brodkorb so, und er verwirft mit gutem Grund die Definition über »eine bloß faktische Singularität«, da im »strikten Sinne jedes historische Ereignis singulär« sei (164). Ebenso zu Recht bestreitet Brodkorb die Definition der Singularität über eine quantitative Dimension, d.h. über die Zahl der Opfer – ein Verfahren übrigens, welches der Herausgeber des »Schwarzbuches des Kommunismus«, Stèphane Courtois, wählte, um die Einzigartigkeit von Auschwitz zu bestreiten und die Verbrechen des Kommunismus als die schlimmeren hinzustellen. Bleibt also nur noch die qualitative Dimension. Hier zitiert Brodkorb die klassische Bestimmung von Eberhard Jäckel, für den der Holocaust singulär ist, »weil noch nie zuvor ein Staat mit der Autorität seines verantwortlichen Führers beschlossen hatte, eine bestimmte Menschengruppe einschließlich der Alten, der Frauen, der Kinder und der Säuglinge möglichst restlos zu töten, und diesen Beschluß mit allen nur möglichen staatlichen Machtmitteln in die Tat umsetzte.« Gegen diese hat Brodkorb nicht viel auszusetzen, er verweist lediglich auf Jürgen Kocka, der den industriellen Charakter der Shoah hervorhebt (168).
Worum es in der Singularitätsdebatte Brodkorb zufolge eigentlich gehe, sei die Frage, ob die historischen Ereignisse in Auschwitz im Vergleich zu jenen im Gulag von gleichartiger regressiver moralischer Qualität waren oder von herausgehobener (42). Dazu jedoch sei eine ethische Theorie mit anthropologischer Fundierung notwendig: »Ohne Menschenbild ist die Frage, ob Auschwitz singulär war, nicht lösbar.« Für Brodkorb macht sich die Definition folglich an dieser Frage fest: »Was [sei] im Angesicht des Erfordernisses eines universalistischen Normensystems eigentlich schlimmer – der gefühllose Bürokrat, die kalte Seele oder der lüsterne Schlächter, die heiße Seele?« (178) Das nicht beantwortet zu haben, wirft er abschließend Jürgen Habermas vor.
Allein: Dieser Gegenüberstellung liegt eine weitverbreitete Fehlannahme über die tatsächlichen Abläufe der Judenvernichtung zugrunde: Das Spezifische der Shoah liegt nämlich nicht im industrialisierten Morden begründet. Nur rund die Hälfte der ermordeten Juden fand in Gaskammern den Tod, die andere Hälfte wurde auf »herkömmliche« Art und Weise ermordet, zumeist erschossen. Der Historiker Ulrich Herbert spricht daher davon, dass »der Holocaust vielmehr zu einem ganz erheblichen Teil eine Menschenvernichtung in sehr traditionellen, nachgerade archaischen Formen [war].« (zit. n. Smith 2010: 11)
Brodkorbs Fokus auf die moralisch-ethische Frage ist also für die Herleitung der Singularität von Auschwitz nicht weiterführend. Im Gegenteil, sie leistet einer Gleichsetzung von Genoziden und Holocaust Vorschub: »Eine rationale Antwort auf die Frage, warum es in der Wissenschaft unzulässig sein soll, nicht nur den Holocaust mit anderen Genoziden zu vergleichen, sondern hinsichtlich seiner regressiven Qualität mit diesen gleichzusetzen, blieb Habermas schuldig und bleibt er – und mit ihm viele Debattenteilnehmer – bis heute schuldig.« Mit dieser Argumentation baut sich Brodkorb gleich zwei Pappkameraden auf: Zum einen verkennt er, dass der Historikerstreit nicht ein Streit auf wissenschaftlicher Ebene, sondern vielmehr eine (geschichts)politische Auseinandersetzung über das Selbstverständnis der Bundesrepublik vor dem Hintergrund der »geistig-moralischen Wende« der Kohl-Ära war. Geschichtspolitische Motive kann er allenfalls bei Michael Stürmer erkennen, nicht aber bei Ernst Nolte, der ihm viel zu sehr Wissenschaftler ist (146f.). Insofern läuft auch folgende rhetorische Frage ins Leere: »Wenn Christian Meier und Eberhard Jäckel aber Recht haben mit ihrer These, dass sich auch im Falle der Nicht-Singularität von Auschwitz im Grunde gar nichts änderte – nichts an der Schuld der Täter, nichts am Leid der Opfer, nichts an der politischen Verantwortung aller nachfolgenden Generationen –, so drängt sich doch die Frage auf, warum Habermas und seine Fürsprecher mit so großer Wucht und teils außerwissenschaftlichen Instrumentarien das Singularitätspostulat verteidigt haben. Was ist das außerwissenschaftliche Motiv dafür, eine Sache zu betreiben, die es im Grunde nicht braucht oder die ›am Ende so entscheidend‹ nicht ist?«
Zum zweiten existiert das von ihm unterstellte Vergleichsverbot in der Wissenschaft nicht, was in »Singuläres Auschwitz?« auch Wolfgang Wippermann konstatiert. Bereits Mitte der 1980er Jahre schrieb der Historiker Saul Friedländer: »Es bedarf keiner besonderen Erwähnung, daß versucht werden kann, die Menschenvernichtung der Nazis mit anderen Fällen von Vernichtung zu vergleichen, daß man nach einer beliebigen Anzahl vergleichbarer Ereignisse Ausschau halten kann. Doch all das schließt die Anerkennung einiger erheblicher Unterschiede nicht aus.« (Friedländer 2007: 76) Diesen Unterschied sieht er in Anschluss an Hannah Arendt darin begründet, dass die Nazis versucht hätten zu entscheiden, wer die Welt bewohnen dürfe und wer nicht. Man könne sich, so Friedländer, zwar eine noch größere Zahl von Opfern und eine technologisch noch effizientere Tötungsart vorstellen, aber diese Grenze sei bislang nur durch die Nazis überschritten worden.
Diesen Weg – gerade durch den Vergleich des Holocaust mit anderen Genoziden dessen Spezifik herauszuarbeiten – beschreiten weitere renommierte Historiker. So z.B. der israelische Historiker und zeitweilige Leiter des International Institute for Holocaust Research in Yad Vashem, Yehuda Bauer. In seinem Buch »Die dunkle Seite der Geschichte« (2001) vergleicht er die Shoah mit dem Mord an den Sinti und Roma sowie mit dem Völkermord der Türken an den Armeniern. Auf diese Weise arbeitet Bauer fünf Elemente heraus, die die Einzigartigkeit des Holocaust definierten. Allerdings präferiert er anstelle von »Singularität« oder »Einzigartigkeit« den Begriff der »Präzedenslosigkeit«. Und zwar deshalb, um dem auch von Brodkorb vorgetragenem spitzfindigen Argument, dass jedes historische Ereignis »einzigartig« sei, zu entgehen. Bauers Definition von Genozid und Shoah lautet: »Ein Genozid ist demnach der planvolle Versuch, eine nationale, ethnische oder ›rassische‹ Gruppe mit Hilfe der von Lemkin und der UN-Konvention benannten Maßnahmen zu vernichten, das heißt durch Maßnahmen, die den selektiven Massenmord an den Mitgliedern der verfolgten Gruppe begleiten. Bei der Shoah handelt es sich um eine Radikalisierung des Genozids, um einen planvollen Versuch, jedes einzelne Mitglied einer verfolgten ethnischen, nationalen oder ›rassischen‹ Gruppe physisch zu vernichten.« (30) Vergleichbar geht auch Steven T. Katz (1994) in seinem Buch »The Holocaust in Historical Context Vol. 1« vor. Er historisierte den Holocaust, um dessen Einzigartigkeit gerade im Vergleich mit anderen Massentötungen herauszuarbeiten. Dabei kommt er zu einer vergleichbaren Singularitäts-Definition wie Eberhard Jäckel.
Kurzum: Gerade dadurch, dass Historiker den Holocaust mit anderen Völkermorden verglichen haben, konnten sie zeigen, warum dieser sich von anderen Genoziden unterscheidet und insofern zu Recht als singulär, einzigartig oder charakterisiert wird.

»Sensibilität bestimmter Semantiken«
Worum läuft Brodkorbs Argumentation also hinaus? Pointiert bringt das folgender Auszug aus seinem Gespräch mit Ernst Nolte zum Ausdruck: Auf seine Frage, ob der Anspruch, für immer und radikal dem ›Guten‹ zum Durchbruch zu verhelfen, nicht ebenso vermessen und übermenschlich sei wie der Anspruch, für immer und radikal das ›Böse‹ auszulöschen sei, erwidert der rechte Historiker verdutzt: »Sie gelangen aber zu einer erstaunlichen Gleichsetzung mit Ihrer Frage, ob der Versuch der Bolschewisten, das ›Paradies auf Erden zu errichten‹, nicht ›ebenso vermessen und übermenschlich‹ sei wie die nationalsozialistische GegenIntention.« (46)
Zwar argumentiert Brodkorb an anderen Stellen etwas differenzierter (vgl. 154f.), das aber deutet nur darauf hin, dass das einstige Mitglied der Kommunistischen Plattform in der PDS auf seinen Weg in die politische rechte Mitte noch etwas unentschlossen ist. Die Tendenz freilich ist klar, was auch seine Übernahme des in der Tradition des Totalitarismusparadigmas stehenden Extremismuskonzeptes sowie seine Interventionen zugunsten neurechter Publizisten (vgl. AIB 86, 1/2010; der Freitag, 11.8.2011) zeigt. Dass der FAZ die Stoßrichtung des jungen Ministers sehr genehm ist und dies mit zwei Vorabdrucken »belohnte«, verwundert nicht. Dazu passt, dass sie bereits vor einem Jahr ein sympathisierendes Porträt über ihn veröffentlichten haben (FAZ 11.8.2010). In diesem wird wohlwollend hervorgehoben, dass Brodkorb der CDU vorhalte, ihre rechte Flanke zu vernachlässigen und sich dementsprechend für in die Kritik geratene rechte CDU-Leute einsetze.
Saul Friedländer warnte in seiner Auseinandersetzung mit Martin Broszat über die Historisierung des Nationalsozialismus davor, dass »in der gegenwärtig vorherrschenden Kontextuierung jene Historiker, die die Bedeutung des Nazismus relativieren und seinen Vernichtungscharakter zu historisieren beabsichtigen, eben jenen Begriff der ›Historisierung‹ instrumentalisieren …, um zu jener nur scheinbar lange Zeit hinausgeschobenen ›objektiven‹ Sicht der Vergangenheit zu gelangen.« Diese Warnung sollte man sich in der gegenwärtigen Kontextuierung – Renaissance von Totalitarismustheorie, Erhebung eines spezifischen Verständnisses der Singularitätsthese zu inoffiziellen Staatsdoktrin sowie »Renationalisierung des Denkens« infolge der Eurokrise – vor Auge führen.
Das heißt allerdings nicht, von einer Historisierung an sich und von einem spezifischen Verständnis der Singularitätsthese Abstand zu nehmen. Historisierung muss vielmehr aus kritischer Perspektive erfolgen (vgl. Berlekamp 1992). Dies hatte der Historiker Detlev Peukert im Sinne, als er schrieb, dass Historisierung das Interesse auf gesellschaftliche Strukturen lenken müsse, sodass geschichtliche Erfahrungen durch die Herstellung von Kontinuitätsbezügen wach gehalten werden können. Der Nazi-Faschismus erscheine dann nicht als das Produkt von pathologischen Personen, mit deren Tod die Gefahr der Wiederholbarkeit ausgeschlossen sei. Vielmehr rücken ins Zentrum des Untersuchungsinteresses gerade jene Elemente der westlich-kapitalistischen Moderne, die den Weg in die Katastrophe wiesen. Denn der Holocaust war kein Bruch mit dieser Moderne, sondern ihre Schattenseite – worauf auch Enzo Traverso (2003) in seinem Essay »Moderne und Gewalt« über die europäische Genealogie des Nazi-Terrors hinwies. Freilich darf bei dieser Herangehensweise nicht das Spezifische des Holocaust eingeebnet werden. Doch mit einer Dialektik von Kontinuität und Bruch ist dem beizukommen.
Für eine kritische Positionierung zur Singularitätsthese ergibt sich somit Folgendes: Im Anschluss an Yehuda Bauer erscheint der Begriff der Präzedenslosigkeit besser geeignet zu sein. Des Weiteren muss das Verständnis der Präzedenslosigkeit in kritische Auseinandersetzung mit drei herkömmlichen Interpretationen erfolgen. Nur so ist es möglich, der »Sensibilität bestimmter Semantiken« gerecht zu werden. Erstens muss das vorherrschende sakralisierende Singularitätsverständnis kritisiert werden, weil dieses mit einer Entkontextualisierung der Geschichte einhergeht und damit zu einem unpolitischen, die Kontinuitäten mit gegenwärtigen gesellschaftlichen Spaltungslinien ausblendenden Gedenken führt. Zweitens muss, um revisionistischen oder normalisierenden Bestrebungen entgegenzuwirken, auf eben das Präzedenzlose des Judenmordes im Vergleich zu anderen Völkermorden bestanden werden. Und drittens muss in Auseinandersetzung mit ökonomistisch-marxistischen Deutungen auf die Besonderheit von Antisemitismus und Judenvernichtung insistiert werden, weil diese Auschwitz zumeist entweder kaum zur Kenntnis nahmen bzw. wenn doch, sie auf unmittelbare ökonomische Ausbeutungsinteressen zurückzuführen suchten.

Literatur
Bauer, Yehuda (2001): Die dunkle Seite der Geschichte. Die Shoah in historischer Sicht. Interpretationen und Re-Interpretationen, Frankfurt/M.
Berg, Nicolas (2003): Der Holocaust und die westdeutschen Historiker. Erforschung und Erinnerung, Göttingen.
Berlekamp, Brigitte (1992): Rassismus, Holocaust und die ›Historisierung‹ des Nationalsozialismus – Zu einem nicht beendeten Disput, in: Werner Röhr (Hrsg.): Faschismus und Rassismus – Kontroverse um Ideologie und Opfer, Berlin.
Friedländer, Saul (2007): Nachdenken über den Holocaust, München.
Jones, Adam (2011): Genocide. A Comprehensive Introduction. Second Edition, London/New York.
Katz, Steven T. (1994): The Holocaust in Historical Context, Vol. 1. The Holocaust and Mass Death before the Modern Age, New York/Oxford.
Leggewie, Claus, Historikerstreit – transnational, in: Steffen Kailitz (Hrsg.): Die Gegenwart der Vergangenheit. Der »Historikerstreit« und die deutsche Geschichtspolitik, Wiesbaden 2008, S. 56.
Smith, Helmut Walser (2010): Fluchtpunkt 1941. Kontinuitäten der deutschen Geschichte, Stuttgart.
Traverso, Enzo (2003): Moderne und Gewalt. Eine europäische Genealogie des Nazi-Terrors, Köln.

(aus: Sozialismus 11/2011)

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