Daimler, Deutsche Bank und Co.: Das Geschäft mit der Apartheid

Als die Nachricht vom Tod Nelson Mandelas um die Welt ging, ließ es sich kaum ein Politiker nehmen, den letzten Freiheitskämpfer des 20. Jahrhunderts und Versöhner Südafrikas zu ehren. Bundeskanzlerin Angela Merkel und US-Präsident Barack Obama bezeichneten ihn als einen „Giganten der Geschichte“; zahllose Medienbeiträge würdigten seinen Einsatz gegen das Apartheidregime.

Doch womit sich westliche Politiker und Medien schwer tun, ist offen auszusprechen, dass der Westen das rassistische Regime der weißen Eliten jahrzehntelang unterstützt hat – als angebliches Bollwerk gegen den Kommunismus in Südafrika.[1] So ging im Rauschen all der Ehrungen und Nachrufe auf Nelson Mandela Ende des vergangenen Jahres auch die Meldung unter, dass ein US-Bezirksgericht die Klagen von Apartheidopfern gegen die deutschen Konzerne Daimler und Rheinmetall abgewiesen hat, da sie nicht im ausreichenden Maße die Belange der Vereinigten Staaten betreffen. Die Klagen gegen die US-Konzerne Ford und IBM ließ die Bezirksrichterin Shira Scheindlin hingegen weiterlaufen.

Zerplatzte Hoffnung auf Entschädigung
Die Kläger, vertreten durch die Menschenrechtsorganisation Khulumani, hatten den Firmen vorgeworfen, durch ihre Geschäfte mit dem Apartheidregime Gewalt und Rassentrennung im Südafrika der 1970er und 80er Jahre unterstützt zu haben – etwa indem sie Fahrzeuge, Rüstungsgüter oder Computer lieferten. Sie verlangen daher die Anerkennung der Schuld und eine materielle Entschädigung für die menschenrechtsverletzenden Praktiken der internationalen Konzerne.

Doch von beidem kann bislang keine Rede sein. Ein Daimler-Sprecher wies die erhobenen Vorwürfe nach der Entscheidung des Gerichts zum wiederholten Male zurück. Einzig der Konzern General Motors, gegen den Khulumani ebenfalls eine Klage angestrengt hatte, bot aufgrund des öffentlichen Drucks bereits vor zwei Jahren Entschädigungszahlungen in Höhe von 1,5 Mio. US-Dollar an.

Die juristischen Auseinandersetzungen dauern bereits seit 2002 an und haben inzwischen mehrere US-Gerichte beschäftigt. Das Urteil vom Dezember geht auf den Einspruch der Kläger gegen ein Urteil vom Sommer letzten Jahres zurück. Am 21. August hatte das zweite Berufungsgericht die Klage von Khulumani abgewiesen. Die Apartheidopfer hatten sich auf das US-amerikanische Alien Tort Statute berufen, eines der wenigen Gesetze, das Betroffenen von Unternehmensunrecht bislang eine Möglichkeit für Klagen eröffnet hatte. Doch im April 2013 entschied der US-Supreme Court in einem anderen Fall, dass das Gesetz nur in sehr begrenztem Umfang auf Fälle von Menschenrechtsverletzungen durch Unternehmen im Ausland angewendet werden kann. Daraufhin wies das zuständige Berufungsgericht im August auch die Apartheidklagen ab.[2]

Die Entscheidung hat weitreichende Folgen, meint die Hilfsorganisation medico international, die seit Jahren die Apartheidopfer unterstützt. Denn mit ihr dürften sich die letzten Hoffnungen auf Entschädigung und eine juristische Verantwortung der Großunternehmen erledigt haben. „Das Gerichtsurteil ist dabei kein Freispruch für Daimler und Co, sondern Ausdruck einer gravierenden Lücke im internationalen Recht, das politisch gelöst werden muss“, heißt es in einer Stellungnahme der Hilfsorganisation.[3]

Wirtschaftliches Engagement trotz Sanktionen
Schon 1986 wies der ehemalige Bischof und Friedensnobelpreisträger Desmond Tutu mit deutlichen Worten auf die Verstrickung insbesondere europäischer und amerikanischer Konzerne mit dem Apartheidregime hin: „Sie dürfen sich nicht mit der Annahme täuschen, sie täten damit etwas zum Wohle der Schwarzen. Zumindest diesen Humbug sollten wir jetzt loswerden. Diese Leute stützen eines der bösartigsten Systeme seit dem Nationalsozialismus.“[4] Konservative Schätzungen gehen davon aus, dass zwischen 1960 und 1993 über 80 000 Oppositionelle, darunter 10 000 Frauen und 15 000 Kinder, bis zu drei Jahre in Gefängnissen des weißen Regimes saßen – ohne Gerichtsverfahren. Nahezu 3000 Menschen wurden verbannt. Die Zahl der Todesopfer ist hingegen schwer zu schätzen. Die Wahrheits- und Versöhnungskommission dokumentiert 114 Fälle mit 889 Morden.

Zu den Unternehmen, die während der Zeit der Apartheid in Südafrika tätig waren, gehören viele deutsche, darunter die Deutsche Bank, die Commerzbank, der Chemiekonzern BASF, der Automobilzulieferer und Rüstungskonzern Rheinmetall sowie der Automobilhersteller Daimler. Insgesamt waren 300 deutsche Unternehmen und Banken im Südafrika der Apartheid geschäftlich aktiv. Allein zwischen 1971 und 1993 erzielten sie dadurch laut der Hilfsorganisation medico international Gewinne in Höhe von 4,2 Mrd. Euro.

Selbst die von der UNO gegen Südafrika verhängten Sanktionen zwischen 1986 und 1993 konnten die deutschen Konzerne nicht bremsen. Während dieser sieben Jahre „trug der Saldo des Warenhandels den deutschen Exporteuren (und der deutschen Zahlungsbilanz) im Schnitt ein jährliches Plus von 2,3 Mrd. Mark ein“.[5] Und schon Jahre zuvor, als sich die Briten und die Amerikaner an einem von der UNO im Jahr 1964 verhängten Waffenembargo beteiligten, lieferten Frankreich und die BRD weiter Rüstungsgüter nach Südafrika – getarnt als Dual-Use-Güter, also als Waren, die sowohl zivil als auch militärisch genutzt werden können. Während sich der Rest der Welt in den Jahren der Sanktionen zurückhielt und das Kapital vom Kap abzog – Mitte 1987 verließen über 100 US-Firmen Südafrika – steigerte die Bundesrepublik ihr Engagement noch. Der Sprecher der Kampagne Jubilee South Africa sagt: „Deutsche Banken haben ganz klar den Apartheidstaat finanziert.“[6] Deutschland sei sogar mit 27,3 Prozent aller Auslandsschulden des öffentlichen Sektors der wichtigste Direktfinanzier der Apartheid gewesen.[7]

Politische Flankenhilfe
Diese ökonomische Unterstützung wurde von Bonn auch politisch flankiert – etwa mit Hermes-Krediten. Ihr Wert lag im Jahr 1976 bei 2,3 Mrd. DM; 1994 war der Betrag auf sieben Mrd. DM angestiegen. Überdies verhandelte die Bundesregierung noch zu einem Zeitpunkt politische Abkommen mit Südafrika, als das Land bereits international isoliert war. Nur zwei Jahre nach dem Massaker von Sharpeville vom März 1960, bei dem 69 schwarze Demonstranten erschossen und viele verwundet wurden, schloss sie ein Kulturabkommen mit dem Apartheidstaat ab, das bis 1977 Gültigkeit besaß.[8]

Zwar setzte die Bundesrepublik ihre offene Unterstützung für die Apartheid in jenen Momenten aus, in denen Südafrika zu sehr am Pranger der internationalen Öffentlichkeit stand. Unmittelbar nach dem Massaker von Sharpeville etwa verwehrte sie dem südafrikanischen Außenminister einen Besuch in Bonn. Doch das Kalkül dahinter war nicht, gegen die rassistischen Verbrechen des Apartheidregimes zu protestieren, sondern das deutsche Ansehen in der Welt zu schützen, wie eine Aufzeichnung aus dem Auswärtigen Amt vom 31. Mai 1961 belegt: Jede Erklärung aus Bonn, die Verständnis für den „südafrikanischen Rassenstandpunkt erkennen lassen würde, könnte unserem Ansehen in der farbigen Welt erheblichen Abbruch tun und würde vor allem von Pankow und den Sowjets gegen uns ausgeschlachtet werden“, heißt es dort. Fest stehe aber: „Wir beabsichtigen, auch in Zukunft mit Rücksicht auf die guten Beziehungen und das starke deutsche Element in Südafrika eine öffentliche Kritik an den inneren Verhältnissen Südafrikas zu vermeiden.“[9] Betont wird auch, dass Bonn im Gegensatz zu anderen westlichen Staaten „niemals kritisch zur südafrikanischen Rassenpolitik Stellung“ genommen habe.

Im Gegenteil: Einige führende deutsche Politiker rechtfertigten die rassistische Politik der Apartheid sogar öffentlich. So soll Franz-Josef Strauß bei einem Südafrikabesuch gesagt haben: „Die Politik der Apartheid beruht auf einem positiven religiösen Verantwortungsbewusstsein für die Entwicklung der nichtweißen Bevölkerungsschichten. Es ist deshalb falsch, von der Unterdrückung der Nicht-Weißen durch eine weiße Herrenrasse zu sprechen.“[10] Andere die Rassentrennung rechtfertigende Äußerungen des bayerischen Politikers sind gesichert.

Und auch Willy Brandt, dessen 100. Geburtstag gerade ausgiebig gefeiert wurde, stellte die deutschen Wirtschaftsinteressen in Südafrika über menschenrechtliche Bedenken. Als Außenminister der Großen Koalition sagte er im Jahr 1968 über die Wirtschaftsbeziehungen zu Südafrika: „Wir hatten keinen Anlass, mit dieser Tradition plötzlich und einseitig zu brechen, zumal wir als ein auf Export angewiesener Industriestaat auch die Interessen unserer Wirtschaft wahren müssen. Wir haben außerdem die Erfahrung gemacht, dass man Handel und Politik nicht ohne Not koppeln soll. Deshalb sind wir für den Ausbau der Wirtschaftsbeziehungen selbst zu solchen Staaten, mit denen wir erhebliche politische Kontroversen haben.“[11] Auch als Bundeskanzler tat Brandt nichts, was dieser Haltung widersprochen hätte. Nach seinem Rücktritt 1974 schloss die sozialliberale Koalition mit Südafrika ein Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung – rückwirkend für zehn Jahre. Die Profite der Konzerne erhöhten sich dadurch erheblich.

Ideologische Zustimmung?
Wieso aber war das rassistische Südafrika so attraktiv für die deutsche Wirtschaft? Auf einen Aspekt weist die US-Wirtschaftszeitschrift „Fortune“ hin: „Die Republik Südafrika war für ausländische Investoren schon immer eine Art Goldmine, einer jener seltenen erquickenden Flecken Erde, wo die Profite groß und die Probleme klein sind. Das Kapital ist weder durch politische Instabilität noch durch Verstaatlichung bedroht. Arbeitskräfte sind billig, die Wirtschaft floriert, die Währung ist hart und konvertibel.“[12]

Doch offenbar gab es für das deutsche Kapital und seine Funktionäre noch einen weiteren Grund, sich in Südafrika zu engagieren. Der ehemalige EU-Kommissar und SPD-Politiker Günter Verheugen, der sich in der deutschen Anti-Apartheid-Bewegung engagierte, findet in seinem 1986 veröffentlichten Buch über die deutschen Interessen am Kap eine Erklärung für die besonders umtriebigen Aktivitäten von Daimler, Rheinmetall und der Deutsche Bank, die über das rein ökonomische Argument hinausgeht: „Das wirtschaftliche Engagement des Westens in Südafrika war nicht nur Ausdruck des Vertrauens auf die Fähigkeit des weißen Regimes, die so profitablen ‚Rahmenbedingungen‘ der Apartheid-Wirtschaft erhalten zu können, sondern auch ein Zeichen der Übereinstimmung, der Zustimmung.“

Verheugen kommt zu dem Schluss, dass „die deutschen Manager auch deshalb so gerne nach Südafrika gegangen sind, weil sie dort eine Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung vorfanden, die ihrem Weltbild entsprach“. Damit stellt er das Engagement deutscher Firmen in Südafrika in einen Zusammenhang mit dem Fortleben der Nazi-Ideologie in der Bundesrepublik. Ihm zufolge hat der Rassismus in Deutschland den Rassismus in Südafrika gestärkt. Wen wundere es da noch, dass sich unter den Firmen auch solche fänden, die schon im Nationalsozialismus mit Hilfe von Zwangsarbeitern schöne Gewinne erzielt haben, resümiert Verheugen.[13]
Worte kosten nichts

Doch unabhängig davon, ob es tatsächlich die ideologische Nähe zum Apartheidregime oder schlicht ökonomische Interessen waren, die den Ausschlag für das Engagement in Südafrika gaben: In ihrer Außendarstellung gaben sich die deutschen Konzerne zumindest seit den 1980er Jahren stets liberal. In der Mehrzahl brachten sie ihre Hoffnung zum Ausdruck, dass das Regime in Südafrika die Rassentrennung aufgeben möge.

Worte kosten nichts. Wenn aber etwas die Profitmargen zu beeinträchtigen droht, dann wird geblockt – das zeigt der Umgang von Daimler und Co. mit den Apartheidklagen. Und auch die Bundesregierung intervenierte mehrfach über förmliche Stellungnahmen im Apartheidverfahren auf Seiten von Daimler und Rheinmetall. Sie sieht durch die Klagen nicht nur ihre Souveränität verletzt, sondern hält sie auch für eine Gefährdung des internationalen Handels.[14]

Doch wer über die Unterstützung von Politik und Wirtschaft der westlichen Welt für das rassistische Regime in Südafrika nicht reden will, der sollte sich auch mit Lobesworten für Nelson Mandela zurückhalten.

Fußnoten

[1] Immerhin erinnerte das US-Magazin „Newsweek“ daran, dass die Verhaftung von Mandela mit Hilfe des CIA erfolgte. Vgl. Jeff Stein, The Day Mandela was Arrested, With A Little Help From the CIA, in: „Newsweek“, 5.12.2013, www.newsweek.com.

[2] Vgl. ECCHR, Fallbeschreibung: Die Apartheid-Klagen, www.ecchr.eu, 25.11.2013.

[3] medico international, Apartheidverfahren in USA abgelehnt, 23.8.2013, www.medico.de.

[4] Zit. nach Birgit Morgenrath und Gottfried Wellmer, Deutsches Kapital am Kap. Kollaboration mit dem Apartheidsregime, Hamburg 2003.

[5] Ebd., S. 13.

[6] Zit. nach Birgit Morgenrath, Apartheid unter dem guten Stern, in: „Der Freitag“, 6.12.2002.

[7] Vgl. ebd.

[8] Bereits zuvor hatte Bonn in einem Großprozess der südafrikanischen Regierung von 1956 bis 1961 gegen Gegner der Apartheid indirekt Rechtsbeistand geleistet. Als die Südafrikaner um Unterlagen zum Verfahren gegen „kommunistische Funktionäre“ im Rahmen des westdeutschen Verbotsverfahrens gegen die KPD baten, lieferte die Bundesregierung das Gewünschte, ohne die Hintergründe des Prozesses näher zu überprüfen. Belege, ob das Material vom Apartheidregime tatsächlich eingesetzt wurde, gibt es allerdings nicht. Zit. nach Albrecht Hagemann, Bonn und die Apartheid in Südafrika, in: „Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte“, 4/1995, 679-706, hier, S. 691.

[9] Zit. nach ebd., S. 687.

[10] Apartheid, www.de.wikipedia.org/wiki/Apartheid.

[11] Philipp Rock, Macht, Märkte und Moral – Zur Rolle der Menschenrechte in der Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland in den sechziger und siebziger Jahren, Frankfurt a. M. 2010, S. 145.

[12] Zit. nach Morgenrath/Wellmer, a.a.O., S. 27.

[13] Günter Verheugen, Apartheid. Südafrika und die deutschen Interessen am Kap. Mit einem Vorwort von Bischof Tutu, Köln 1986, S. 17 u. 94 f.

[14] Vgl. ECCHR, a.a.O.

(aus: »Blätter« 2/2014, Seite 101-105)

(aus: Blätter für deutsche und internationale Politik 2/2014, Seite 101-105)

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