Der Journalist Hanno Rauterberg beleuchtet in seinem neuen Buch die Rolle des Künstlers im Neoliberalismus
Immer Geld strömt auf den Kunstmarkt. Das hat Folgen für die Künstler. Sie begeben sich in neue Abhängigkeiten, designen Unterhemden für Schiesser. Hanno Rauterberg untersucht diese Wandlungen in seinem neuen Buch.
Man muss es nicht gleich so drastisch formulieren wie der US-amerikanische Architekt Philip Johnson. »Ich bin eine Hure, ich bin ein Künstler«, sagte dieser einmal. Selbst für Adolf Hitler oder Josef Stalin wäre Johnson tätig geworden. Man kann es auch subtiler formulieren. So wie der Maler und Grafiker Eric Fischl: »Wie wäre es, wenn ich von diesem einen Bild, für das ich 100 000 Dollar bekomme, noch drei, vier weitere Versionen male. Dann hätte ich eine halbe Million. Wäre nicht schlecht für einen Nachmittag.«
Worum es geht, ist offenkundig: Der Künstler ist abhängig von Auftraggebern bzw. vom Markt. Stets läuft er Gefahr, sich dem Spiel von Angebot und Nachfrage nicht entziehen zu können und seine Werke nicht autonom, sondern mit schielendem Blick auf die Verkaufserlöse zu schaffen. In Gesellschaften wie der unsrigen, die der Entfesselung des Marktes huldigen, verändert sich zwangsläufig auch die Rolle des Künstlers. Hanno Rauterberg beschreibt diesen Prozess in seinem neuen Buch »Die Kunst und das gute Leben«. Mit vielen interessanten Zitaten und Beispielen zeichnet der »Zeit«-Redakteur ein Bild der Kunst im Zeitalter des Neoliberalismus.
Der Titel ist deshalb etwas irreführend, weil es in erster Linie um die Ökonomisierung des Kunstmarktes geht. Dieser treibt seit geraumer Zeit immer neue Blüten. Phänomene wie Derivate, die durch den Kollaps des Finanzsystems 2008 einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wurden, prägen mittlerweile den Kunsthandel mit. So erwarb der Sammler Adam Lindemann eine Skulptur von Jeff Koons, bevor sie überhaupt angefertigt worden war. Und ohne sie je in seinen eigenen Räumen bewundert zu haben, verkaufte er die Skulptur weiter. Direkt aus der Werkstatt wurde sie in ein Auktionshaus geliefert, wo sie 2007 versteigert wurde. Lindemann hatte 1,9 Millionen Dollar gezahlt, der nächste Käufer sage und schreibe 23,6 Millionen. Die Kunst ist längst an die Börse gegangen. Es gibt Kunstfonds, wo ein jeder Anteile erwerben kann – in der Hoffnung, sein Geld zu mehren.
Und einige Künstler sind sich mittlerweile nicht zu schade, T-Shirts einer bekannten Unterhemdenfirma oder Flaschen für eine bekannte Champagnermarke zu gestalten. Für Rauterberg Ausdruck eines Wandels der Machtverhältnisse: »Galt es lange als vornehmste Aufgabe einer aufklärerischen Kunst, die gesellschaftlichen Verhältnisse in Wirtschaft und Gesellschaft zu problematisieren, so ist es nun oftmals umgekehrt, und die ökonomisch bestimmte Konsumkultur wirft ein erhellendes Licht auf den Zustand der Kunst.« Kunst sei zum Statussymbol einer neofeudalen Geldelite avanciert, in die Celebrity-Kultur eingepasst worden und der Künstler zum Eingeborenen des Marktes geworden. Oder wie Georg Seeßlen pointiert formulierte: »Kunstkonsum ist zum Schwanzvergleich der Oligarchen geworden. Der Kunstmarkt ist eine böse Karikatur des Kapitalmarkts geworden.«
Rauterberg argumentiert stets vor dem Hintergrund des autonomen Künstlerbildes des bürgerlichen Zeitalters. Im Feudalismus war der Maler oder Architekt ein Hofkünstler, der Aufträge seines Herrn ausführen musste. Erst die Durchsetzung von Kapitalismus und Märkten befreite den Künstler aus dieser Rolle. Nunmehr konnte er unabhängig von Auftraggebern Werke schaffen – eben dank des Marktes. Doch die emanzipatorische Rolle des Marktes schlägt dann wieder in Fesseln um, wenn Superreiche, Kunstmäzene und Geldanleger sich der Kunst und des Künstlers bemächtigen. Autonomie, Freiheit, Originalität, Kritik und ein humanistisches Pathos der Freiheit – das war einmal. Jetzt finde sich der Künstler, so Rauterberg, im »postautonomen Zeitalter« wieder.
Es gibt ein Ereignis, dass die neue Rolle des Künstlers perfekt auf den Punkt bringt: Die Deutsche Bank eröffnete im Winter 2013 ihre Kunsthalle in Berlin neu und hatte sich dafür etwas besonderes ausgedacht: eine Ausstellung für alle. Jeder Künstler konnte ein Werk bringen, und der Kurator versprach, sich dieses auch anzuschauen. Der Andrang war enorm, es bildete sich eine Schlange von zeitweise einem Kilometer. Manche hatten sich schon um fünf Uhr früh angestellt. Rauterbergs treffende Kommentierung: »Die Macht des Geldes traf auf die Macht der Kunst, und die eine bediente sich der anderen. Die Künstler mussten in der Kälte warten, mussten duldsam sein und dankbar.« Vom Aufbegehren keine Spur.
Mit der Beobachtung, dass es ein gestiegenes breites Interesse an Kunst gibt, führt Rauterberg ein weiteres Argument ein. Museen erfreuen sich steigender Besucherzahlen, Kunst sei zum Partygespräch geworden und aus der touristischen Stadtvermarktung nicht wegzudenken. Woran das liege? Am Versprechen der Kunst, meint der »Zeit«-Redakteur: Gerade weil die Kunst nicht länger eine ferne Gegenwelt verheiße, weil sie sich normalisiert habe, gewinne sie für nicht wenige Menschen eine neue Bedeutung. Sie verkörpere auf greifbare Weise die Tugenden der gegenwärtigen Gesellschaft. In der Kunst offenbart sich, was viele als gutes Leben ersehnen: »ein Leben ohne Sekundärtugenden, ohne die alten Vorstellungen von Fleiß und Pflichtbewusstsein, von Ordnungsliebe und Pünktlichkeit.« Im Grunde also das, was die französischen Sozialwissenschaftler Luc Boltanski und Ève Chiapello als Künstlerkritik am Kapitalismus beschrieben haben. Im Gegensatz zur Sozialkritik, bei der die soziale Ungerechtigkeit im Vordergrund steht, zielt die Künstlerkritik auf Entfremdung und Unterdrückung der Selbsttätigkeit der Menschen. Doch der neoliberale Kapitalismus nimmt sich dieser Kritik an, macht sie sich zu eigen und holt auf diese Weise noch mehr aus den Menschen heraus.
An Rauterbergs Diagnose des postautonomen Zeitalters ist sicher etwas dran. Doch es fragt sich, ob er einer klaren These zuliebe Kontinuitäten zu wenig und Brüche zu stark behandelt. Setzte der Prozess der Okkupation der Kunst und Kultur durch den Markt nicht schon früher ein? Interessanterweise geht der »Zeit«-Redakteur auf die Kulturindustriekritik von Adorno und Horkheimer nicht ein. Doch insgesamt ist sein Buch eine interessante und kurzweilige Lektüre. Freilich bleibt eine Leerstelle: Wie kann Kunst sich dem Zugriff des Marktes entziehen? Rauterberg führt Beispiele an. So gibt es Künstler wie Wolfgang Tillmans oder Hans Haacke, die sich ein Veto-Recht bei Verkäufen ihrer Werke vorbehalten und mitentscheiden, wie und wo ihre Werke gezeigt werden. Rauterberg vollzieht aber nicht den Schritt, das Problem von der Gesellschaft aus zu problematisieren. Er plädiert lediglich dafür, dass das Verhältnis von Ethik und Ästhetik von Künstlern, Kuratoren und Rezipienten neu diskutiert werden sollte.
Wenn indes ein Schraubenfabrikant, Milliardär und Kunstsammler wie Reinhold Würth, der seine Sammlung gerade im Berliner Martin-Gropius-Bau mitsamt Reklamefilmchen für seine Firma zeigen lässt, allein 600 Millionen Euro flüssige Mittel auf der Bank liegen hat, wie er unlängst dem »Spiegel« sagte, ist das Ausdruck von einer – marxistisch gesprochen – Überakkumulation von Kapital. Und das überschüssige Kapital fließt halt auch auf den Kunstmarkt – mit den in dem Buch schön beschriebenen Auswirkungen. Daher sind weitergehende Fragen zu diskutieren: Wie kann nicht nur die Entfesselung des Marktes in allen gesellschaftlichen Bereichen und die damit einhergehende Spaltung in wenige Superreiche und immer mehr Arme gebremst werden, sondern auch das Zur-Ware-Werden von Kunst an sich aufgehoben werden?
Hanno Rauterberg: Die Kunst und das gute Leben. Über die Ethik der Ästhetik. Suhrkamp. 206 S., br., 15 €
aus: neues deutschland, 12.9.2015