Der existenzielle Ekel beim Anblick einer Tütensuppe

Die Journalistin Kathrin Hartmann nimmt die Versprechen vom grünen Wachstum auseinander

Eine grüne Wirtschaft gilt als Zauberformel: Nachhaltigkeit soll mit Wirtschaftswachstum verbunden werden. Mehr noch: Ökologische Techniken wie Solarpaneele oder Elektroautos sollen das Bruttoinlandsprodukt in die Höhe treiben. Nur in kleinen Zirkeln wird auf die Undurchführbarkeit dieses Konzepts hingewiesen. »Grüne Lügen« nannte etwa der renommierte Umweltforscher Friedrich Schmidt-Bleek sein jüngstes Buch. Es werde so viel Umweltschutz betrieben wie noch nie – und doch nehme das Ausmaß der Naturzerstörung zu. Der Grund: Es werden immer mehr Ressourcen verbraucht.
Während Schmidt-Bleeks Buch analytisch-theoretisch argumentiert, ist das neue Buch von Kathrin Hartmann ein Report. Doch auch ihr Fazit nach langen Recherchen in Indonesien und Bangladesch lautet: Der Rohstoffhunger der grünen Wirtschaft ist riesig, und für angeblich grüne Projekte wie Biodiesel werden Regenwälder gerodet und Menschen vertrieben. Alle Versuche, destruktive Techniken und Rohstoffe durch nachhaltigere zu ersetzen, seien krachend gescheitert oder hätten die Probleme sogar noch verschärft. »Die Herstellung von Elektroautos, von Windrädern und Solarzellen benötigt riesige Mengen Seltener Erden und Konfliktrohstoffe, die aus Kriegsgebieten beschafft werden oder Indigenen das Land rauben, weil sie sich unter ihrer regenbewaldeten Erde befinden«, schreibt sie. Die fatale Idee, Lebensmittel zur Energiegewinnung zu verbrennen, habe den Hunger noch verschärft.

Am Beispiel der Palmölwirtschaft in Indonesien zeigt die Journalistin und Buchautorin, wie für sogenannten Energiepflanzen wie Palmöl gigantische Flächen von Regenwald weichen müssen. Die Leute vor Ort nennen die sich rasch ausbreitenden Monokulturen »grüne Hölle«. Schon hat Indonesien Brasilien den Rang als Waldvernichter Nummer Eins abgelaufen. Hartmann nennt Ross und Reiter der daran beteiligten internationalen Konsortien. Und kritisiert scharf ihre Helfershelfer in Gewand von Nichtregierungsorganisationen (NGO). Der größte Teil der in Indonesien tätigen NGO sei von weißen Eliten aufgebaut worden und verstehe sich als Partner der Wirtschaft und Geburtshelfer des grünen Wachstums.

Die Autorin nennt keine Lösungen. Sie kritisiert vielmehr das Argument, dass wer keine praktikable Lösung anbiete, auch nichts kritisieren solle. Dieses habe nur eine Funktion: die Verhinderung von Systemkritik. Diese übt die Autorin sehr deutlich. Von imperialer Lebensweise, struktureller Gewalt, Kolonialismus und Kapitalismus ist die Rede. Die Tütensuppe empfindet sie als »Symbol für die Zurichtung zum schlechten Leben, als Konzentrat des Weltwahnsinns«. Existenziellen Ekel rufe das bei ihr hervor. Sie hält dagegen: »Wir brauchen keine ›besseren Unternehmen‹, die mit ›besserem Palmöl‹ eine ›bessere Tütensuppe‹ herstellen.« Sondern ein selbstbestimmtes Leben, in dem die Tütensuppe keinen Platz mehr hat, sowie bessere und weniger Arbeit.

Eine Alternative zur jetzigen »imperialen Lebensweise« sieht Hartmann in der ökologisch ausgerichteten, solidarischen und selbstbestimmten kleinbäuerlichen Landwirtschaft.

Anhand vieler Beispiele zerstört Hartmann die Versprechen des grünen Wachstums. Bisweilen wird es zu detailliert. Es ist nicht von Belang zu wissen, dass der Rauch der Nelkenzigarette eines Gesprächspartners nach Lebkuchen riecht oder ein anderer sich wirsch ein Tuch um den Hals wirft. Stattdessen hätte man sich mehr theoretische Ausführungen gewünscht. So verweist Hartmann nur kurz auf die thermodynamischen Gesetze, die eine Entkopplung von Wachstum und Naturverbrauch eben so wenig möglich machen wie ein Perpetuum mobile. Hierzu mehr und etwas weniger Reportage-Elemente – das hätte dem Text gut getan. Dennoch ein empfehlenswertes Buch.

Kathrin Hartmann: Aus kontrolliertem Raubbau. Wie Politik und Wirtschaft das Klima anheizen, Natur vernichten und Armut produzieren. Blessing. 448 S., brosch., 18,99 €

aus: neues deutschland, 24.11.2015

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