Fest steht, die EU-Kommission will ihn, in welcher Form ist noch nicht ausgemacht: Der sogenannte CO2-Grenzanpassungsmechanismus soll ab 2023 für bestimmte Sektoren gelten. Der Name klingt kompliziert, eingebürgert haben sich inzwischen einfachere Begriffe wie Grenzsteuer oder Klimazoll. Das Prinzip dahinter ist auf den ersten Blick einleuchtend: Exportiert beispielsweise ein Unternehmen aus China Stahl nach Europa, müsste es in Form einer Abgabe, Steuer oder eines Zolls zahlen – sofern der Stahl denn unter klimaschädlicheren Bedingungen produziert worden ist oder ein niedrigerer Preis für die Emission des Treibhausgases bezahlt wurde als in der EU. Das Motiv dahinter: So würden andere Regierungen angehalten, den Preis des Kohlendioxidausstoßes zu erhöhen und Stahlproduzenten außerhalb der EU unter Druck gesetzt, in CO2-ärmere Produktionsverfahren zu investieren.
Überdies hofft die EU-Kommission auf diese Weise, das sogenannte Carbon Leakage zu begrenzen: So wird der Vorgang bezeichnet, wenn Industriezweige mit hohen Emissionen ihre Produktion in Länder mit weniger scharfen Klimaauflagen verlagern. Global – und nicht nur in der EU – würden, so die Annahme, die Emissionen gesenkt. Gerade bei der CO2-intensiven Produktion von Zement oder Stahl ist dies notwendig, um die angestrebten Klimaziele der EU zu erreichen.
Klimapolitisch gesehen reagiert die Grenzsteuer somit auf ein reales Problem: Was bringt Klimaschutz in der EU, wenn die Konkurrenten mit schmutzigen Produkten den EU-Markt überfluten und damit die EU-Unternehmen in die Knie zwingen? Was bringen verschärfte Umweltauflagen, wenn europäische Stahlhersteller ihre Standorte nach Asien verlagern und dort die Emissionen zunehmen oder deutsche Autohersteller chinesischen Stahl importieren, weil dieser aufgrund geringerer Umweltauflagen billiger ist? Dem Carbon Leackage-Risiko hat die EU mit der kostenlosen Zuteilung von Emissionsrechtszertifikaten an energieintensive Industriezweige innerhalb ihres Emissionshandelssystems Rechnung getragen. Die Grenzsteuer wäre ein weiteres Mittel.
Klingt doch eigentlich gut. Doch der Klimazoll, der von allen französischen Präsidenten seit Chirac gefordert wurde und unter EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen zum offiziellen Ziel der EU wurde, birgt eine Reihe von Problemen in sich. Eines davon wäre die Frage, wie die Kohlendioxidmenge der Importgüter ermittelt wird. Das könnte ziemlich kompliziert werden. Ein weiteres Problem ist, dass sich das klimapolitische Bemühen zu sehr nach Innen richtet, sprich das Hauptaugenmerk auf der Klimabilanz der EU liegt. Dabei ist das Klimaproblem bekanntermaßen ein globales, das nur durch internationale Kooperation gelöst werden kann.
Dass zudem seit der Corona-Pandemie der Klimaschutzgrund als Begründung in den Hintergrund geraten ist, lässt eine Verwässerung des Vorhabens befürchten.
Des Weiteren wäre ein Konflikt mit der Welthandelsorganisation (WTO) möglich. Schon jetzt haben Russland, die USA und China die Pläne der EU kritisiert, weil sie Zweifel an der Vereinbarkeit des Klimazolls mit den internationalen Handelsregeln hegen. Sollte nämlich die kostenlose Zuteilung von Zertifikaten im Rahmen des EU-Emissionshandelssystems an Stahlerzeuger fortbestehen, wäre das in Kombination mit einem Klimazoll eine Bevorteilung von europäischen Konzernen, ein Handelshemmnis. Allerdings sieht die WTO auch Ausnahmen vor, worunter der »Schutz einer globalen Ressource« fällt.
Die EU-Kommission scheint sich indes nicht auf dieses Argument stützen zu wollen. Sie zieht in Erwägung, Schluss mit der kostenlosen Zuteilung der Verschmutzungsrechte zu machen, um so den Konflikt mit der WTO zu entschärfen. Ob es dazu kommt und wie die Grenzsteuer konkret aussehen wird, bleibt abzuwarten; die EU-Kommission will im ersten Halbjahr 2021 einen Vorschlag vorlegen. Schon jetzt aber melden sich Lobbyist*innen zu Wort, denen das Aus der kostenlosen Zuteilung gar nicht schmeckt, und auch das deutsche Wirtschaftsministerium zeigt sich wenig begeistert.
Dass zudem seit der Corona-Pandemie der Klimaschutzgrund als Begründung in den Hintergrund geraten ist, lässt eine Verwässerung des Vorhabens befürchten. Nunmehr wird herausgestellt, dass die Steuer Milliarden Euro in die Kassen der EU spülen würde. Und die kann sie angesichts des 750 Milliarden Euro teuren Konjunkturprogramms gut gebrauchen.
Wie auch immer der Klimazoll ausfällt: Ersetzt ohnehin nicht da an, wo das Problem der Emissionen entsteht – in der Produktion -, sondern dort, wo das Produkt auf den Markt kommt, in der Zirkulation.
aus: analyse & kritik 665, 17.11.2020