Vertreter der EU und der ukrainischen Übergangsregierung haben in Brüssel am Freitag den politischen Teil des Assoziierungsabkommens unterzeichnet. Die EU macht damit den Weg für Finanzhilfen in Höhe von elf Milliarden Euro frei. Die fließen aber erst, wenn die Ukraine eine Vereinbarung mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) trifft. Darüber hinaus will die EU die Einfuhrzölle für zahlreiche ukrainische Produkte streichen, wodurch die Hersteller etwa 500 Millionen Euro jährlich sparen sollen. Vom IWF war jüngst zu hören, dass die Verhandlungen über ein Hilfsprogramm für die Ukraine sehr gut vorankommen. Man plane, die Arbeit am 25. März abzuschließen.
Hilfsprogramm, Finanzhilfen – das hört sich gut an und verdeckt doch, was der Ukraine tatsächlich blüht. Erfahrungen damit hat sie bereits seit den 90er Jahren. Die berüchtigten Schocktherapien des IWF, die den ehemals sowjetischen Staaten Anfang der 90er Jahre verordnet worden waren, führten auch in der Ukraine zu einem drastischen Einbruch der Wirtschaft. Von 1992 bis 1995 ging das Bruttoinlandsprodukt (BIP) um 60 Prozent zurück. Zwar wuchs die Wirtschaft ab Ende der 90er Jahre wieder, doch 2007 war das Produktionsniveau von 1991 immer noch nicht wieder erreicht worden. Von der Finanzkrise ab 2007 wurde die Ukraine besonders hart getroffen. Im ersten Halbjahr 2009 brach das BIP um 18 Prozent ein. Zwar lockerte der IWF daraufhin seine Bedingungen, hielt aber an der Forderung fest, die staatliche Subventionierung der Gaspreise zu beenden. Und im Oktober 2010 wurden die IWF-Finanzhilfen in Höhe von 15,5 Milliarden Dollar ausgesetzt, weil das ukrainische Parlament ein Gesetz verabschiedet hatte, das die Erhöhung von Sozialausgaben vorsah. Mindestlöhne und Renten sollten angehoben werden.
Leitprinzip der vom IWF vertretenen marktwirtschaftlichen Reformen ist die Entfesselung des freien Marktes. Ähnliches vertritt die EU im wirtschaftlichen Teil des Assoziierungsabkommens, das im Gegensatz zum politischen noch nicht unterzeichnet ist. Die Ablehnung dieses Abkommens durch Viktor Janukowitsch hatte die Proteste auf dem Maidan ausgelöst. Die breite Bevölkerung hätte von dem Abkommen indes nicht profitiert. Dennis J. Snower und Rainer Schweickert vom Institut für Weltwirtschaft in Kiel drücken das etwas beschönigend aus: »Das Abkommen hätte jedoch mit Blick auf die mittelfristige Einkommensentwicklung, den (kurzfristigen) Staatshaushalt und die Bevölkerung erhebliche Anpassungslasten bedeutet, ohne nennenswerte finanzielle Hilfen vorzusehen.« Russland dagegen habe günstige Kredite, Investitionen und niedrigere Gaspreise angeboten – sofort und ohne wirtschaftliche und demokratische Bedingungen. Der Ausdruck »Anpassungslasten« meint nichts anderes als soziale Verelendung. Das liegt auf der Hand. Denn der wirtschaftliche Teil des EU-Abkommens ist im Kern die Einführung des Freihandels – daher auch der offizielle Name Assoziierungs- und Freihandelsabkommen. Und was Freihandel zwischen Staaten unterschiedlichen ökonomischen Niveaus bedeutet, zeigen zahlreiche Beispiele: die Niederkonkurrierung von Industriezweigen und die Degradierung des unterlegenen Landes auf einen Abnehmer von Waren.
Wenn die EU fordert, dass die Ukraine den IWF-Bedingungen zustimmt, bestätigt das, dass sie auch jetzt nicht gewillt ist, der Mehrheit der Ukrainer eine ökonomische Perspektive zuzugestehen. Die geplante Streichung von Einfuhrzöllen ist nur eine nette Geste. Offenkundig will man die Verantwortung dem IWF zuschieben, der klar ausspricht, was die Ukraine nun zu tun habe – der mitunter sozialen Rhetorik seiner Chefin Christine Lagarde zum Trotz. An erster Stelle steht die Forderung nach wirtschaftlichen Reformen und einem Sparkurs. Konkret: Wechselkursflexibilisierung, Haushaltskonsolidierung und Abschaffung der für viele Haushalte überlebensnotwendigen Subventionierung des Gassektors. Privathaushalte tragen nur 16 Prozent der tatsächlichen Kosten, Industriebetriebe zahlen den vollen Preis.
Was die Umsetzung dieser Auflagen für die Bevölkerung heißt, deutet auch Thomas Gomart vom französischen Institut für internationale Beziehungen an: Eine Vereinbarung mit dem IWF über Finanzhilfen »wird es nicht ohne die Zustimmung zu extrem tief greifenden Reformen mit extrem hohen sozialen Kosten geben.« Beispielhaft kann man die verheerenden Folgen von Sparprogrammen in Griechenland beobachten. Erst kürzlich stellten britische Forscher im Medizinjournal »The Lancet« die katastrophalen Auswirkungen der Sparpolitik in Griechenland dar. Mehr Totgeburten, HIV-Infektionen, Tuberkulose- und Depressionsfälle sowie Suizide – so lassen sich die Ergebnisse zusammenfassen. Dass die Ukraine von der Ratingagentur Standard & Poor’s jetzt mit Griechenland verglichen wird, lässt Schlimmes befürchten. Am bedrückendsten allerdings: Die Ukrainer, die aus guten Gründen gegen Janukowitsch und die schlechte soziale Situation auf die Straße gingen, haben den Teufel mit dem Beelzebub ausgetrieben.
Die Übergangsregierung um Ministerpräsident Arseni Jazenjuk hat bereits angekündigt, Sparauflagen durchsetzen zu wollen. Doch ein Teil der Meinungselite, so das internationale Meinungsportal Project Syndicate, warnt bereits davor, dass das vom IWF angestrebte, bisher umfassendste Austeritätsprogramm für ein osteuropäisches Land die dem Westen wohlgesinnte Übergangsregierung überfordern könnte. Zumindest Rentenkürzungen und die Streichung der Heizkostensubventionen sollten erst nach den Wahlen im Mai in Angriff genommen werden. Andernfalls drohten neue Instabilitäten.
(aus: neues deutschland, 22.3.2014)