Aus der Geschichte lernen?

Grass-Debatte und Götz Alys Bestandsaufnahme des Historikerstreits

Nur wenige Wochen nach dem Party-Patriotismus der Fußballweltmeisterschaft, der weitgehend als Indiz für den nunmehr unverkrampften Umgang der Deutschen mit ihrer Geschichte gedeutet wurde, ist mit dem Eingeständnis Günter Grass’, Mitglied der Waffen-SS gewesen zu sein, eine Debatte über das Verhältnis zum Nationalsozialismus wieder aktuell geworden. Fast genau 20 Jahre nach Ernst Noltes – den Auftakt für den Historikerstreit gebenden – Klagen über die Vergangenheit, die nicht vergehen will, scheint die deutsche Öffentlichkeit sich derzeit mitten in einer neuen geschichtspolitischen Kontroverse zu befinden. Schon frohlockt der Protagonist des rechts-konservativen Lagers aus dem Historikerstreit in einer italienischen Zeitung – hierzulande ist er mittlerweile sogar der FAZ zu weit rechts -, die Grass-Diskussion sei ein Anzeichen dafür, dass die von ihm seit 1986 vorausgesagte Verschiebung der herrschenden Begriffe nun eingetreten sei (vgl. FAZ, 17.8.2006). Anlass genug, zu fragen, ob dem tatsächlich so ist.  Weiterlesen

Willige Partner

Wird man an Adam Toozes „Ökonomie der Zerstörung“ zukünftig den Gang faschismustheoretischer Forschung messen?

Ein solches Lob – noch dazu aus so berufener Feder – liest man selten: „In der Studie ‚Ökonomie der Zerstörung'[1] von Adam Tooze über die Wirtschaft im ‚Dritten Reich‘ wird das umstrittene Problem des Verhältnisses von kapitalistischer Wirtschaft zum NS-Regime auf denkbar breiter empirischer Basis und in eindringlicher Analyse souverän geklärt. Man kann sagen: Zum ersten Mal ist das jetzt in einer überzeugenden Synthese auf gleichmäßig hohem Niveau geschehen.“[2] Der Verfasser dieser Zeilen ist Hans-Ulrich Wehler, Nestor der deutschen Sozialgeschichtsschreibung. Ob man an dem Werk des jungen britischen Wirtschaftshistorikers – bekannt geworden durch seine fundamentale Kritik an Götz Alys Buch „Hitlers Volksstaat“ (2005) – tatsächlich, wie Wehler prophezeit, von nun an den Gang der zeitgeschichtlichen Forschung über den Nationalsozialismus wird messen dürfen, bleibt abzuwarten.
Weiterlesen

Faschismus oder „nationaler Sozialismus“?

Neuere Tendenzen der Faschismusforschung

Mit dem 2006 gestarteten Versuch des konservativen Lifestylemagazins Cicero, nach Günter Grass auch die zweite Ikone der sozialdemokratischen Kulturrevolution, Jürgen Habermas, zum jugendlichen Adepten des Spätfaschismus zu machen, wird eine Tendenz der geschichtspolitischen Frontstellung deutlich, die Albrecht von Lucke in einer Analyse der Grass-Debatte als „Propaganda der Neuen Bürgerlichkeit“ bezeichnet hat. Während Grass’ spätes Eingeständnis seiner SS-Angehörigkeit als 17-jähriger bei den einen Entsetzen und bei den anderen mehr oder minder deutliche Befriedigung ob der damit erlangten moralischen Desavouierung auslöste, geriet die den Memoiren Joachim C. Fests entnommene Geschichte über Habermas’ angebliche Hitler-Begeisterung schnell zum Rohrkrepierer. Weiterlesen

Alarmierende Ergebnisse

Bodo Zeuner/Jochen Gester/Michael Fichter/Joachim Kreis/Richard Stöss, Gewerkschaften und Rechtsextremismus, Anregungen für die Bildungsarbeit und die politische Selbstverständigung der deutschen Gewerkschaften, Verlag Westfälisches Dampfboot, Münster 2007, 143 S., 14,90 €.

Zwei Jahre sind nach Veröffentlichung der ungemütlichen Befragungsergebnisse des Forschungsprojekts »Gewerkschaften und Rechtsextremismus« der Berliner Forscher um Bodo Zeuner und Richard Stöss ins Land gestrichen. Ungemütlich, da eines der wichtigsten Resultate der Umfrage lautete: Gerade die Kernmitgliedschaft der Gewerkschaften – also die Stammbelegschaft der westdeutschen Großbetriebe – neigt besonders häufig zu rechtsextremen Einstellungsmustern. Weiterlesen

„Behemoth“ der Judenvernichtung

Zum Tode Raul Hilbergs

Raul Hilberg, der am 4.8. verstorben ist, ging es in seinem wissenschaftlichen Werk nicht um das Verurteilen des deutschen Faschismus. Das verstand sich für ihn, der 1938 mit seinen jüdischen Eltern vor den Nazis aus Wien über Kuba in die USA geflohen war, von selbst. Er wollte, wie Arno Widmann in einem der interessanteren Nachrufe schreibt (FR vom 7.8.2007), begreifen, die Untaten verstehen, wissen, wie es funktionierte. Die Erforschung der Judenvernichtung sollte sein Lebensinhalt werden. Weiterlesen

Moderne und Gewalt

Enzo Traverso, Moderne und Gewalt, Eine europäische Genealogie des Nazi-Terrors, ISP-Verlag, Köln 2003, 160 Seiten, 15,00 Euro.

In der Einleitung seines neuen Buches „Moderne und Gewalt – zur europäischen Genealogie des Nazi-Terrors“ beschreibt Enzo Traverso das Paradox, dass Auschwitz zwar ins westliche Gedächtnis gerückt sei – ein Beispiel in der wissenschaftlichen Diskussion ist das von Levy und Sznaider herausgegebene Buch „Erinnerung im globalen Zeitalter: Der Holocaust“ – gleichzeitig jedoch eine Verdrängung der europäischen Wurzeln des Nationalsozialismus zu konstatieren sei. Dies empfindet Traverso als beunruhigend und gefährlich (13). Weiterlesen