Kann man nicht auswaschen

Der Geruch der Gastro-Unterschicht: Ilija Matuskos Debüt »Verdunstung in der Randzone«

Zum Wort »Stallgeruch« schreibt Wikipedia: Im übertragenen Sinne werde damit »das soziale Milieu eines Individuums« bezeichnet, »also seine Herkunft oder langfristige Zugehörigkeit zu einer Gruppe«. Der Autor Ilija Matusko muss, wenn er das Wort »Stall« liest, immer an Fett denken. Fett und der Geruch von Pommes sind das Leitmotiv seines Debüts »Verdunstung in der Randzone«. Weiterlesen

In der Welt herumstolpern

Andreas Lehmanns Kurzgeschichtensammlung »Lebenszeichen« gibt Einblicke in den Arbeitsalltag

Andreas Lehmann hat bisher zwei Romane veröffentlicht. Nach »Über Tage« und »Schwarz auf Weiß« folgt nun eine Sammlung von 21 Kurzgeschichten. Die Textgattung mag sich geändert haben, nicht aber der Inhalt oder die Auswahl der Protagonisten. Der 1977 geborene und in Leipzig lebende Autor hat eine Vorliebe für Antihelden, triste Angestelltenschicksale, die seit 15 Jahren dieselbe Plastikbox für die Frühstückspause mit zur Arbeit nehmen und dünnen Kaffee aus Thermoskannen trinken. Die sich mit Kundenakquise für Lkw-Planen, Industrieverpackungen, Abonnentenlisten oder Snackautomaten beschäftigen müssen. Und deren Alltag kaum Momente der Freude kennt. Weiterlesen

Im Startblock verkümmert

Die beste Entfremdungsliteratur seit Wilhelm Genazino: Andreas Lehmanns Roman »Schwarz auf Weiß«

Es sind Berufe, die Protagonisten in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur nur selten haben: Vertriebsangestellter, Industriekaufmann oder Produktmanagerin. Sie arbeiten in Firmen, die Dinge verkaufen, denen man meist nur Beachtung schenkt, wenn sie nicht funktionieren: Snackautomaten, Wasserkocher oder Stabmixer. Oder unter denen man sich gar nichts vorstellen kann, wie unter Industrieverpackungen. Das klingt alles andere als schillernd. Doch Andreas Lehmann verwendet all diese Begriffe in seinem zweiten Roman »Schwarz auf Weiß«. Weiterlesen

Leute wie Heinz-Georg Bederitzky

Für seinen Roman „Arbeit“ hat Thorsten Nagelschmidt Dutzende von Interviews geführt. Ein tolles Buch!

Die tägliche Arbeit am Band von VW, die eines Programmierers in einem IT-Unternehmen oder der Alltag hinter der Theke einer Bäckerei – das können sich Schriftsteller offenkundig nur schwer als Romanstoff vorstellen. Dass sich aus der vermeintlich langweiligen Welt der Lohnarbeit durchaus – und zwar hervorragende – Werke stricken lassen, hat zuletzt der Niederländer J.J. Voskuil mit seinem siebenbändigen Werk Das Büro gezeigt, in dem er den Arbeitsalltag in einem Volkskunde-Institut schildert. Weiterlesen

Glücklich ist, wer vergisst

Christoph Heins neuer Roman »Trutz« handelt vom Erinnern und Vergessen im Jahrhundert der Extreme

Glücklich sei nur, wer vergessen könne, heißt es in einem Operettenlied, dessen Partitur die junge Geta Gejm in einer Sammlung von Klavierauszügen findet. Dieses Lied studiert sie überglücklich ein, um es fortan ihren Eltern, ihrem Bruder Rem und seinem Freund Maykl Trutz vorzuspielen. Es ist ein Akt der Rebellion. Denn ihr Vater ist Waldemar Gejm, ein Mathematiker und Sprachwissenschaftler in der Sowjetunion, der sich der vergessenen Wissenschaft des Erinnerns verschrieben hat: der sogenannten Mnemonik. Weiterlesen

Humor aus dem Leitz-Ordner

Zu Besuch bei Gerhard Henschel, dem Autor der Martin-Schlosser-Romane

Nacht für Nacht im Keller eines Einfamilienhauses in einer niedersächsischen Kleinstadt südlich von Lüneburg: Der Schriftsteller Gerhard Henschel legt Leonard Cohen oder William Byrd auf, setzt sich an seinen Schreibtisch und fängt an zu schreiben. »Nach drei bis vier Stunden habe ich anderthalb Buchseiten fertig, nach anderthalb Jahren einen weiteren Roman«, erzählt Henschel. Seine Romanchronik sucht in der Literaturgeschichte ihresgleichen. Anhand des Lebens seines Protagonisten Martin Schlosser – Henschels Alter Ego – entfaltet der 1962 Geborene eine Chronik der Bundesrepublik Deutschland. Soeben ist der siebte Teil seines autobiografischen Mammutprojektes erschienen. Er trägt den Titel »Arbeiterroman« – und beginnt so: Weiterlesen

Auf der Suche nach Zukunft und Sinn

Er sorgte für den Hype des Literaturjahres. Doch ist der Erfolg von Karl Ove Knausgård Ausdruck einer neuen Spießigkeit?

Man kann alles erzählen, nur nicht sein wirkliches Leben«, schrieb Max Frisch. Karl Ove Knausgård kann nichts erzählen, nur sein wirkliches Leben – könnte man meinen. Der norwegischer Erfolgsautor – Übersetzungen in 30 Sprachen, hervorragende Verkaufszahlen – hat aus seiner Unfähigkeit, ein richtiger Schriftsteller zu werden, eine Tugend gemacht. Weiterlesen