Colin Crouch, Das befremdliche Überleben des Neoliberalismus, Suhrkamp, Berlin 2011, 248 S., 19,90 Euro
Colin Crouchs 2004 im Englischen und 2008 im Deutschen erschienenes Buch „Postdemokratie“ wurde auch aufseiten der Linken zu einem der meist zitierten politikwissenschaftlichen Texte der letzten Jahre. Und das zu Recht, verdichten sich in diesem schmalen Essay doch die Debatten um Politikverdrossenheit, Sozialabbau und Privatisierung auf prägnante Weise. Insofern beginnt man mit Spannung die Lektüre des neuen Bandes des an der Warwick Business School Lehrenden Professors. Weiterlesen
Archiv der Kategorie: Buchbesprechungen
Im Zweifel für Ernst Nolte
Mathias Brodkorbs misslungener Versuch, den Historikerstreit zu bilanzieren
Gemeinhin gilt der Ausgang des Historikerstreits als klar: Die sozialdemokratische und liberale Linke um Jürgen Habermas und Hans-Ulrich Wehler fuhr einen Punktsieg gegen Ernst Nolte (und andere neurechte Historiker) ein, der den Holocaust mit der These vom »kausalen Nexus« zwischen bolschewistischen Verbrechen und Auschwitz aus der Kontinuität deutscher Geschichte entfernen wollte. Im Zuge des Historikerstreits konnte sich die These von der Singularität des Holocaust etablieren, die freilich mehre Bedeutungen hat. Weiterlesen
Alternativen zum Kapitalismus
Beat Ringger, Maßt Euch an! Auf dem Weg zu einem offenen Sozialismus, Westfälisches Dampfboot, Münster 2011, 217 S., 24,90 Euro
Raul Zelik, Nach dem Kapitalismus? Perspektiven der Emanzipation oder: Das Projekt Communismus anders denken, VSA: Verlag, Hamburg 2011, 143 S., 12,80 Euro
Die große Finanz- und Wirtschaftskrise seit 2008 hat weder den Kapitalismus infrage gestellt, noch war die Linke – ob reformistisch oder systemkritisch/revolutionär – in der Lage, von dieser zu profitieren. Allenfalls die neoliberale Ideologie scheint angekratzt, wobei jenseits von Rhetorik und kosmetischen Maßnahmen die Umverteilung zulasten von lohnabhängigen Klassen ihre Fortsetzung findet; die strukturelle Überakkumulation von (Finanz)Kapital ist mithin ungebrochen. Weiterlesen
Rohe Bürgerlichkeit
Deutsche Zustände, Folge 9, hrsg. von Wilhelm Heitmeyer, Suhrkamp, Berlin 2010, 348 S., 15,00 Euro
Der Veröffentlichung der jüngsten Studie der Friedrich Ebert-Stiftung »Die Mitte in der Krise. Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2010« folgten zwei weitere Untersuchungen mit ähnlichen Fragestellungen: Zum einen stellten Münsteraner Religionssoziologen ihre Resultate einer repräsentativen Untersuchung in fünf europäischen Ländern zu religiöser Vielfalt vor. Zum anderen wurde der neue Band des Langzeitprojekts zum so genannten Syndrom der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit (GMF) »Deutsche Zustände« publiziert. Ein gemeinsames zentrales Ergebnis aller drei Studien ist, dass die Islamfeindlichkeit in Deutschland signifikant zugenommen hat. Weiterlesen
Bohrende Fragen
Zwei neue Studien stellen linke Gewissheiten in Frage
Holger Knothe, Eine andere Welt ist möglich – ohne Antisemitismus?. Antisemitismus und Globalisierungskritik bei Attac, transcript-Verlag, Bielefeld 2009, 213 S., 24,80 Euro; Marcus Meier, »Gewerkschaftsmäßig könnten die sich ja vor allem für Deutsche einsetzen«. Rechte Orientierungen unter jungen Gewerkschaftsmitgliedern, Peter Lang-Verlag, Frankfurt/M. u.a. 2010, 212 S., 34,80 Euro.
Antisemitismus bei Attac? Rechte Einstellungen bei jungen Gewerkschaftern? Man stutzt – handelt es sich doch bei beiden Organisationen um Akteure, die dem linken politischen Spektrum zugeordnet werden, während Antisemitismus und rechte Einstellungen per se mit linken Einstellungen und Programmatiken unvereinbar sind – sollte man zumindest annehmen. Die hier zu besprechenden Bücher zeigen, dass es nicht ganz so einfach ist.
Geben und Nehmen
Der Flick-Konzern im Dritten Reich. Von Johannes Bähr, Axel Drecoll, Bernhard Gotto sowie Kim C. Priemel, Harald Wixforth, hrsg. durch das Institut für Zeitgeschichte München-Berlin im Auftrag der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, München 2008, 1018 S., 64,80 Euro
Der Stern der Bundesrepublik Deutschland im 60. Jahr ihrer Existenz könnte nicht heller strahlen. Einen besseren deutschen Staat scheint es nie gegeben zu haben. Das vorherrschende Muster dieser Interpretation erfolgt dabei folgendermaßen: Umso schlechter man die so genannten beiden deutschen Diktaturen – Nationalsozialismus und DDR – zeichnet, umso besser erscheint die Bundesrepublik. Weiterlesen
Schmerzliche Geschichte
Bini Adamczak, gestern – morgen, Über die Einsamkeit kommunistischer Gespenster und die Rekonstruktion der Zukunft, Unrast 2007, 160 Seiten, 12 Euro
Noch bis in die Mitte der 1970er Jahre war die „russische Frage“ das unausweichliche Paradigma der politischen Perspektiven der Linken. 15 Jahre später, nach dem Zusammenbruch des aus der Oktoberrevolution 1917 entstandenen so genannten Realsozialismus, mutet dieses wie älteste Vorgeschichte an. Das von Fukujama proklamierte Ende der Geschichte scheint auch für viele Linke zu gelten: Weiterlesen
Über Thomas Krolls „Kommunistische Intellektuelle in Westeuropa“
Thomas Kroll, Kommunistische Intellektuelle in Westeuropa. Frankreich, Österreich, Italien und Großbritannien im Vergleich (1945-1956), Böhlau, Köln/Weimar/Wien 2007, 775 S. 74,90 Euro
Vorliegende Studie ist eine überarbeitete Habilitationsschrift, die sich zum Ziel gesetzt hat, eine „bislang ungelöstes historisches Phänomen der westeuropäischen Geschichte“ (2) zu lösen: Es geht darum, Gründe für das Engagement Intellektueller für den Kommunismus sowjetischer Prägung in den prosperierenden parlamentarischen Demokratien Frankreichs, Österreichs, Italiens und Großbritanniens zu finden. Weiterlesen
Vermittlungsarbeit
Marcus Hawel/Gregor Kritidis (Hrsg.), Aufschrei der Utopie. Möglichkeiten einer anderen Welt, Offizin-Verlag, Hannover 2006, 304 S., 18,00 Euro
„Trotz objektiv technischer Möglichkeiten der Abschaffung von Armut und Elend verschärft der Marktradikalismus die gesellschaftlichen Strukturprobleme und blockiert das produktive Experimentieren mit alternativen Lösungsansätzen. Nichts aber ist wichtiger, als die schöpferischen Potentiale zur Überwindung der Probleme freizusetzen. Denn nur wenn gedanklich die bestehenden Grenzen überschritten werden, lassen sich die Kräfte mobilisieren, die für die materielle Überschreitung derselben notwendig sind.“
Dieser auf dem Klappentext formulierte – freilich nicht anspruchslose – Aufgabe, versuchen die Autoren gerecht zu werde. Weiterlesen
K-Gruppen
Andreas Kühn, Stalins Enkel, Maos Söhne. Die Lebenswelt der K-Gruppen in der Bundesrepublik der 70er Jahre, Campus Verlag, Frankfurt/New York 2005, 358 Seiten, 39,90 Euro
Die Totalitarismustheorie erfreut sich seit der Implosion der realexistierenden sozialistischen Staaten erneut großer Beliebtheit. Einer ihrer Befürworter – Ernst Nolte – konstatierte Anfang der 90er Jahre mit Genugtuung, dass kaum ein Begriff einen so überwältigenden Sieg im alltäglichen Leben errungen habe wie der des Totalitarismus. Weiterlesen