Sarrazin eilt weiter von Erfolg zu Erfolg: Nachdem eindeutig rassistische Aussagen nunmehr als kontroverse Meinungsäußerung verbucht werden, Horst Seehofer ungeachtet der Tatsache des aktuellen negativen Zuwanderungssaldos ein Einwanderungsstopp fordert und konservative Politiker aus der CDU angesichts der Rede des Bundespräsidenten Wulff (»Der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland«) das christliche Abendland und die deutsche Leitkultur in Gefahr sehen (als ob die christlichen Kirchen die Avantgarde von Aufklärung, Menschenrechten und Demokratie gewesen wären), nun auch noch dies: Ein bisher fast ausschließlich in der rechtsextremen Szene und im Umfeld der Zeitung »Junge Freiheit« gebräuchlicher Begriff ist im offiziellen politischen Diskurs angekommen: »Deutschenfeindlichkeit«. Weiterlesen
Bohrende Fragen
Zwei neue Studien stellen linke Gewissheiten in Frage
Holger Knothe, Eine andere Welt ist möglich – ohne Antisemitismus?. Antisemitismus und Globalisierungskritik bei Attac, transcript-Verlag, Bielefeld 2009, 213 S., 24,80 Euro; Marcus Meier, »Gewerkschaftsmäßig könnten die sich ja vor allem für Deutsche einsetzen«. Rechte Orientierungen unter jungen Gewerkschaftsmitgliedern, Peter Lang-Verlag, Frankfurt/M. u.a. 2010, 212 S., 34,80 Euro.
Antisemitismus bei Attac? Rechte Einstellungen bei jungen Gewerkschaftern? Man stutzt – handelt es sich doch bei beiden Organisationen um Akteure, die dem linken politischen Spektrum zugeordnet werden, während Antisemitismus und rechte Einstellungen per se mit linken Einstellungen und Programmatiken unvereinbar sind – sollte man zumindest annehmen. Die hier zu besprechenden Bücher zeigen, dass es nicht ganz so einfach ist.
Ein Buch als Verdichtung von Diskursen
Immerhin: Der Feuilletonchef der FAZ Patrick Bahners schreibt – allerdings nicht in seinem Hausblatt, sondern in Blätter für deutsche und internationale Politik – Folgendes: »Nicht wie aus einem Munde, aber immer lauter ertönt es heute: Der Islam ist das Problem. Was haben diejenigen gewollt, die diese Parole lancieren? Ralph Giordano und Henryk M. Broder sind redegewaltige Männer. Aber sie haben wohl kaum geglaubt, dass sämtliche Muslime deutscher Nationalität nach Lektüre der Autobiographie von [der niederländischen Islamkritikerin] Ayaan Hirsi Ali vom Glauben abfallen würden. Aber wenn nicht – was dann?«[1] Weiterlesen
Rassismus im Namen der Meinungsfreiheit
Können Sie folgende Zitate den richtigen Urhebern zuordnen? Zitat 1: „Sehr viele Bürger sehen in den Befunden des ‚Zahlenmenschen‘ Sarrazin bestätigt, was sie im Alltag beobachten“. Zitat 2: „Fest steht zunächst, dass seinen Thesen eine breite Mehrheit der Deutschen zustimmt. Schließlich spricht er offen aus, was Millionen Deutsche täglich erleben und erfahren.“ Ein Zitat stammt von Udo Voigt, Vorsitzender der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD), das andere von Stefan Dietrich, Redakteur der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Weiterlesen
Kalter Kaffee?
Zur Kritik des deutschen Nationalismus und WM-Patriotismus
Im Jahre 1994 waren einer Umfrage zufolge 44% der befragten Deutschen der Ansicht, dass die deutsche Geschichte ein Nationalgefühl und nationale Symbole weitgehend verbiete. Dieses Ergebnis erscheint spätestens seit der Fußball-WM von 2006 als unvorstellbar: Seit dem so genannten Partyotismus ist die schwarz-rot-goldene Flagge wieder allgegenwärtig. Das findet gegenwärtig seine Fortsetzung während der WM in Südafrika: Kaum noch ein Werbespot kommt ohne die Kombination von schwarz-rot-gold und Fußball aus; in den Städten ist die deutsche Fahne wieder unübersehbar präsent. Dabei fällt auf: Je hässlicher die Häuserfassaden, desto mehr Flaggen hängen aus den Fenstern. Weiterlesen
Empirischer Kurzschluss
Die antideutsche Kontinuitätsthese ist Unfug. Die Kritik des deutschen Nationalismus und WM-Patriotismus allerdings weiterhin notwendig.
Unlängst gab Aram Lintzel in seinem Text »Empirischer Störfall« (taz, 8.6.2010) bekannt, dass er schon jetzt genervt sei von der Paranoia alarmierter Kokommentatoren, die aus dem Torgegröle den Prolog zum Pogrom heraushören. Mit Kokommentatoren meint er die sogenannten Antideutschen, deren Resonanzboden sich zur Fußball-WM erhöhen werde. Denn hinter der schwarz-rot-goldenen Bildsprache lauere mindestens Nationalismus, wenn nicht Faschismus. Weiterlesen
Schaden vom Land abgewendet?
Als wir am 30.5.2010 den Kommentar zu Horst Köhlers imperialistisch anmutenden Afghanistan-Äußerungen auf unsere Homepage stellten, hätten wir niemals gedacht, dass der Bundespräsident einen Tag später zurücktreten würde. In seiner Begründung bemerkte er, dass insbesondere die Unterstellung, er befürworte Einsätze der Bundeswehr, die vom Grundgesetz nicht gedeckt wären, den notwendigen Respekt vor dem Amt des Bundespräsidenten vermissen lässt. Und wörtlich: „Diese Kritik entbehrt jeder Rechtfertigung.“ Weiterlesen
Humanitäre Nasen
Der deutsche politisch korrekte Mainstream mag es nicht, wenn man von ökonomischen Interessen spricht – schon gar nicht in Verbindung mit Krieg. Denn das klingt nach Kolonialismus und Imperialismus, also nach längst vergangenen Zeiten. Insofern ist Horst Köhlers Bemerkung, wonach „ein Land unserer Größe mit dieser Außenhandelsorientierung und damit auch Außenhandelsabhängigkeit auch wissen muss, dass im Zweifel, im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren, zum Beispiel freie Handelswege,…“ in der Tat „ein Tabuthema“, wie es auf Spiegel-Online heißt. Weiterlesen
Afghanisches Humanmaterial
Humanmaterial nannten die deutschen Feldjäger die sterblichen Überreste des von Oberst Klein angeordneten Massakers im afghanischen Kundus am 4. September 2009. Das Wort hätte eigentlich den Titel „Unwort des Jahres“ 2009 verdient gehabt. Weiterlesen
“Raum ohne Volk“
Ein deutscher Professor schafft es nur selten auf die Titelseite der Bild-Zeitung. Dem emeritierten Soziologen und Wirtschaftswissenschaftler Gunnar Heinsohn wurde diese Ehre unlängst zuteil. Er hatte in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (15.3.2010) einen Text publiziert, der mit dem hochtrabenden Titel „Hartz IV und die Politische Ökonomie“ daherkam, im Kern aber einen weiteren Angriff auf den Sozialstaat darstellt.
Die Bild-Zeitung fasste einen Tag später die Kernaussage treffend zusammen: „Staat soll nur 5 Jahre Hartz IV zahlen“ – was die FAZ dann für ihre Online-Ausgabe abgewandelt übernahm. Weiterlesen