In der Nacht sind alle Katzen grau

Seit Mitte letzter Woche liegt der Konzeptentwurf des Kulturstaatsministers Bernd Neumann (CDU) mit dem Titel „Verantwortung wahrnehmen, Aufarbeitung verstärken, Gedenken vertiefen“ zur Neuordnung der Gedenkstätten vor. Für Schlagzeilen sorgte die Absicht, die Behörde zur Sicherung und Auswertung der Stasi-Unterlagen – besser bekannt als Birthler-Behörde – „mittelfristig in die allgemeinen Archive (Bundesarchiv bzw. Archive der Länder)“ einzugliedern. Weiterlesen

Filmkritik: Full Metal Village

Ein bekanntes Loblied über die Errungenschaften der Bourgeoisie hebt unter anderem hervor, dass sie enorme Städte geschaffen und „so einen bedeutenden Teil der Bevölkerung dem Idiotismus des Landlebens entrissen“ habe. Wer will, kann diesen Idiotismus anderthalb Jahrhunderte später in dem Dokumentarfilm „Full Metal Village“ von Sung-Hyung Cho erkennen: In dem schleswig-holsteinischen Dorf Wacken, bekannt durch sein jährliches Open Air, zu dem Metal-Fans aus aller Welt anreisen. Weiterlesen

Filmkritik: Das wahre Leben

»Die Franzosen haben uns geschluckt, ich bin arbeitslos« – mit diesen Worten eröffnet der Risikomanager Roland Spatz (Ulrich Noethen) seiner sich die Langeweile mit einer Galerie vertreibenden Frau Sybille (Katja Riemann) und seinen Söhnen Charles und Linus eine unverhofft neue Lebenssituation – mit einschneidenden Konsequenzen. Denn die Familie hatte sich bereits seit Langem daran gewöhnt, dass der Vater vollkommen, emotional wie zeitlich, von seinem Job in Anspruch genommen wird. Weiterlesen

Filmkritik: Princesas

Bürgerliche Demokratien schlossen stets – wie unlängst erneut Luciano Canfora in seiner kurzen Geschichte der Demokratie ausführte – einen Großteil von Menschen aus, indem ihnen der Bürgerstatus und damit das Wahlrecht verwehrt wurde, von sozialer Gleichheit gar nicht zu reden. Heute schottet sich die Festung Europa gegenüber den MigrantInnen ab und verweigert denen, die es dennoch geschafft haben, ein Aufenthaltsrecht. Die derart Illegalisierten sind somit gezwungen, ihren Lebensunterhalt in der Schattenökonomie zu verdienen – Frauen oftmals auf dem Sexmarkt.  Weiterlesen

K-Gruppen

Andreas Kühn, Stalins Enkel, Maos Söhne. Die Lebenswelt der K-Gruppen in der Bundesrepublik der 70er Jahre, Campus Verlag, Frankfurt/New York 2005, 358 Seiten, 39,90 Euro

Die Totalitarismustheorie erfreut sich seit der Implosion der realexistierenden sozialistischen Staaten erneut großer Beliebtheit. Einer ihrer Befürworter – Ernst Nolte – konstatierte Anfang der 90er Jahre mit Genugtuung, dass kaum ein Begriff einen so überwältigenden Sieg im alltäglichen Leben errungen habe wie der des Totalitarismus. Weiterlesen

Antikommunistische Integrationsideologie

Offenbar sind einige Verfechter von Kapitalismus und repräsentativer Demokratie von der Überlegenheit ihrer Ordnung nicht sehr überzeugt. Andernfalls würden sie wohl kaum 16 Jahre nach dem unrühmlichen Ende der realsozialistischen Staaten befürchten, daß „sich ein Gefühl der Nostalgie in den Köpfen der jüngeren Generation als Alternative zur liberalen Demokratie festsetzen“ könnte, wie es in dem Entwurf zur Entschließung zur „internationalen Verurteilung der Verbrechen totalitärer kommunistischer Regime“ heißt (jW-Thema 30./31.01.06). Um dem vorzubeugen, schlägt das von der Parlamentarischen Versammlung des Europarates (PACE) am 25. Januar verabschiedete Papier vor, eine Bestandsaufnahme der Verbrechen des „totalitären“ Kommunismus vorzunehmen und denselben als Idee feierlich zu verurteilen.  Weiterlesen

Gespensteranalysen

Michael Brie (Hrsg.), Die Linkspartei. Ursprünge, Ziele, Erwartungen, Karl-Dietz Verlag, Berlin 2005 (Rosa-Luxemburg-Stiftung, Texte 23), 96 S., 9,90 Euro; Ulrich Maurer/Hans Modrow (Hrsg), Überholt wird links. Was kann, was will, was soll die Linkspartei, edition ost, Berlin 2005, 232 S., 12,90 Euro.

Kaum war das Gespenst der Linkspartei in der bundesdeutschen Politik aufgetaucht, da lagen auch schon die ersten Gespensteranalysen in Buchform vor. Auf zwei soll hier in kursorischer Form eingegangen werden. Bei der aus dem engeren Umfeld der nunmehr umgetauften PDS – der Rosa-Luxemburg-Stiftung – hervorgegangen Publikation handelt es sich um eine Textsammlung, die sowohl Analysen, eine Chronologie des Zusammengehens von PDS und WASG, sowie Dokumentationen von Presseeinschätzungen etc. enthält. Weiterlesen

Zwischenimperialistische Konkurrenz?

Lorenz Knorr, Partner und Rivalen. USA und EU in der Krise, VAS – Verlag für akademische Schriften, Frankfurt/Main 2005, 114 S., 11,80 Euro

Der Krieg der USA gegen den Irak vor zwei Jahren hat einerseits in der verbliebenen internationalen kritischen Sozialwissenschaft eine Renaissance der imperialismustheoretischen Diskussion ausgelöst. Andererseits wird der Begriff selbst von einflußreichen Politikberatern in den imperialistischen Zentren völlig affirmativ verwendet. Während Teile der Sozialwissenschaften und Teile der Machteliten also – wenngleich mit anderen Inhalten – terminologisch eine Annäherung vollzogen haben, ist auf jene hinzuweisen, die mit dem Begriff Imperialismus bereits seit längerem operieren. Weiterlesen

Über Mike Davis‘ „Die Geburt der Dritten Welt“

Davis, Mike, Die Geburt der Dritten Welt – Hungerkatastrophen und Massenvernichtung im imperialistischen Zeitalter, Assoziation A, Berlin, Hamburg, Göttingen 2004 (464 S., Ln., 30 €)

Davis’ Kernthese ist, „dass das, was wir heute die ‚Dritte Welt’ nennen, ein Produkt der Einkommens- und Vermögensungleichheiten ist – der berühmten ‚Entwicklungslücke’, die vor allem im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts entstanden ist, als man begann, die großen Bauernschaften außerhalb Europas in die Weltwirtschaft zu integrieren.“ (24) Weiterlesen

Moderne und Gewalt

Enzo Traverso, Moderne und Gewalt, Eine europäische Genealogie des Nazi-Terrors, ISP-Verlag, Köln 2003, 160 Seiten, 15,00 Euro.

In der Einleitung seines neuen Buches „Moderne und Gewalt – zur europäischen Genealogie des Nazi-Terrors“ beschreibt Enzo Traverso das Paradox, dass Auschwitz zwar ins westliche Gedächtnis gerückt sei – ein Beispiel in der wissenschaftlichen Diskussion ist das von Levy und Sznaider herausgegebene Buch „Erinnerung im globalen Zeitalter: Der Holocaust“ – gleichzeitig jedoch eine Verdrängung der europäischen Wurzeln des Nationalsozialismus zu konstatieren sei. Dies empfindet Traverso als beunruhigend und gefährlich (13). Weiterlesen